
Der heutige Beitrag ist vielleicht ein wenig ungewöhnlich, vergleicht man ihn mit den anderen dieser Seite. Es wird keine Studie vorgestellt oder ein psychologischer Effekt betrachtet. Eine Filmempfehlung auf Gedankennahrung? Das ist ungewöhnlich. Gleich zu Beginn möchte ich sagen, dass es sich nicht um eine professionelle Filmkritik oder -vorstellung handelt, wie man es von beispielsweise einem Filmstudenten oder einem Kino-Magazin erwarten würde.
Das war Koch Media bewusst, als sie mir freundlicherweise eine Promo-DVD von Das Talent des Genesis Potini zuschickten. So viel vorweg: Der Kritiker-Liebling aus Neuseeland kommt am 16. Juni 2016 in die deutschen Kinos. Eine klare Empfehlung!
Was den Film interessant macht und warum er thematisch sehr gut zu diesem Blog passt, könnt ihr in meinem Beitrag lesen.
The Dark Horse – Genesis Potini
Wir sehen einen Mann mittleren Alters. Er läuft mitten auf der Straße im strömenden Regen. Die Autofahrer hupen, weichen ihm aus und wirken gereizt. Der Mann ist fröhlich. Er verlässt die Straße und betritt einen Laden. Die Leute schauen den Mann komisch an, fragen, ob alles in Ordnung sei. Doch ihn interessiert nur das Schachbrett, das auf einem Regal steht, und er fängt sofort an die Figuren zu bewegen.
Er wird ganz euphorisch, als er gegen sich selbst Schach spielt. Es kommt eine junge Frau in den Laden. Sie und der Mann scheinen sich gut zu kennen. Sie bittet ihn, mit ihr den Laden zu verlassen. Draußen wartet die Polizei und der Mann wird unsanft und gegen seinen Willen in einen Van befördert. Das ist die erste Szene des Films, die gleich zwei wichtige Dinge verrät: Der herumirrende Mann liebt Schach – und er hat Probleme.
Der Mann heißt Genesis Potini. Er ist ein neuseeländischer Blitz-Schachmeister, bekannt unter dem Namen Dark Horse, der sein Spiel aufgrund seiner psychischen Probleme aufgeben musste. Die bipolare Störung, unter der Genesis leidet, bringt ihn regelmäßig zu Ärzten. Diesen Mann, den Protagonisten des Films, gab es wirklich. Er gründete einen Schachclub für Kinder aus der armen Nachbarschaft und zeigte ihnen, trotz der problematischen Umstände, was das Schachspiel ausmacht, und indirekt somit auch eine Perspektive. Denn das Spiel ist etwas, das sie kontrollieren können – ein Mannschaftssport, bei dem Gemeinschaft statt Ego im Mittelpunkt steht.
Die Handlung
Die Handlung des Films basiert auf dem Schaffen und der Person des Genesis Potini, geht aber selbstverständlich über die Realität. Das ist nötig, um eine gute Geschichte zu erzählen. Wer sich für das “echte” Leben des Schachmeisters interessiert, für den könnte die Dokumentation von Jim Marbrook etwas sein, der übrigens auch den Spielfilm co-produziert hat (Trailer mit dem echten Genesis Potini).
Nun aber zum Plot des Films. Nach der oben beschriebenen Anfangsszene sehen wir Genesis älteren Bruder Ariki, der für Genesis bürgt und ihn unter der Voraussetzung bei sich aufnimmt, dass er dem Ratschlag des Arztes folgt: Regelmäßig die Medikamente nehmen und Stress vermeiden. Sagen wir, zumindest die Hälfte des Versprechens wird Genesis einlösen. Der ehemalige Schachmeister zieht für eine kurze Zeit bei Ariki ein und lernt dort die Umstände kennen, unter denen er die letzten Jahre als Mitglied einer lokalen Gang gelebt hat. Nun soll auch dessen Sohn Mana, Gens Neffe, pünktlich zu seinem 15. Geburtstag Teil der Verbrecherbande werden.

Genesis Bruder und Gang-Mitglied Ariki
Als die beiden Nachschub an Bier für die anderen Gangmitglieder kaufen, sieht Genesis an der Ladenwand einen Flyer. Er reißt ihn vom Brett und betrachtet ihn: The Eastern Knights – Kinder-Schachclub. Noch in der Nacht besucht er seinen Freund, der den Schachclub leitet, und bittet ihn, vorbeischauen zu dürfen. The Eastern Knights, so erfährt der Zuschauer, ist vielmehr ein Auffangbecken für unterprivilegierte Kinder aus der Nachbarschaft als ein Club mit sportlichen Ambitionen.
Den Kinder da geht’s so schon schlimm genug. Das ist nicht mal ein richtiger Schachclub. Es ist was, wo sie mal hingehen können. Stabilität!
Genesis überredet den alten Freund und Leiter des Clubs und darf beim nächsten Treffen beiwohnen. Wir lernen die Kinder und Jugendliche kennen. Die Atmosphäre erinnerte mich an das Jugendhaus in meiner Heimatstadt. Die Kinder erfahren, dass der Neue der Schachmeister ist, der unter den Namen Dark Horse berühmt wurde. Genesis möchte den Kindern Hoffnung machen und verspricht ihnen etwas, das eigentlich nicht haltbar ist: In sechs Wochen fahren wir zur nationalen Schachmeisterschaft nach Auckland und gewinnen!

Die Kinder des Eastern Knights
Das weckt falsche Hoffnung und widerspricht dem eigentlichen Ziel des Vereins, welches nicht das Gewinnen sondern die Stabilität ist. Genesis wird rausgeschmissen. Mana folgte ihm übrigens heimlich zum Treffen. Die beiden freunden sich mehr und mehr an, doch Ariki wittert die Gefahr, dass Mana dem Gangleben den Rücken kehren könnte. Er gibt Genesis 1.000 Dollar, bittet ihn auszuziehen und seinen Jungen in Ruhe zu lassen. Er gehöre der Gang.
Genesis ist nun obdachlos. Von dem Geld, das er von seinem Bruder bekommen hat, kauft er neue Schachausrüstung für die Eastern Knights. Er verspricht dem Leiter, sich zu benehmen und bringt den Kindern professionelles Schachspielen bei. Heimlich trifft er sich auch mit Mana, was sein Bruder nicht erfahren darf. Auch er möchte bei der Schachmeisterschaft teilnehmen, trotz seiner offensichtlichen spielerischen Schwächen und der gewaltbereiten Gang im Rücken.
Ein klassisches Sport-Drama?

Genesis Neffe Mana
Der Film erzählt eigentlich zwei Geschichten. Die eine ist schon oft erzählt worden: Ein ehemaliger Profi bringt unterprivilegierten Kindern einen Sport bei, macht sie zu besseren Spielern und befreit sie aus ihrer prekären Situation, indem er ihnen Selbstwertgefühl beibringt. Sie lernen, dass ihr Leben nicht ohne Zukunft ist und sie etwa erreichen können, wenn sie dafür kämpfen.
So emotional befreiend eine solche Geschichte ist – selten spiegelt sie die Realität wider. Sollten die Kinder wider den Erwartungen gewinnen, was dann? Sie kehren zurück in ihre Heimatstadt, sind für einen Augenblick fröhlich, bis sie von der Realität wieder eingeholt werden. Genau das sagt auch Ariki zu Genesis, als er diesen bittet, seinen Sohn doch auf dem Turnier mitspielen zu lassen.
Die Welt will dich nicht, die Welt will mich nicht. Die Welt will ihn nicht – Ariki zu Genesis
Das Talent des Genesis Potini ist mehr als ein klassisches Sport-Drama, auch wenn sich die Macher an diesem bewährten Plotmuster entlang hangeln. Das bringt mich zur zweiten Geschichte, die der Film erzählen möchte, nämlich die von Ariki und Mana und dem Leben in den Zwängen einer Gang. Genesis Bruder ist nicht wirklich der Antagonist der Geschichte, und gerade gegen Ende verstehen wir seine Beweggründe. Auch er ist ein Getriebener der Umstände.
Mana rutscht aus Mangel an Möglichkeiten in die Szene rein und folgt dem Weg seines Vaters. Zu seinem fünfzehnten Geburtstag soll er ein offizielles Mitglied der Bande sein. Er wird mit seinem Mentor Crack rauchen und anschließend ein Haus überfallen, wie es das Aufnahmeritual vorzuschreiben scheint. Das ist der Tiefpunkt des Films und auch Manas Leben, schätze ich. Diese Szene zeigt aber auch, dass man eine erwachsene Geschichte erzählen möchte, auch wenn viele der Charaktere Kinder sind. Der Film bietet dadurch auch einen Einblick in eine Subkultur, die mir und wohl auch meinen Lesern (hoffentlich) im echten Leben verwehrt bleibt.
Natürlich hat der Film ein Happy End, allerdings nur in Anführungsstrichen. Denn das, was Ariki zu Genesis gesagt hat, ist natürlich wahr: Was soll nach der Meisterschaft kommen? Die Abschlussszene spiegelt diese offene Frage wider. Beantwortet wird sie nie. Und so bleibt, zumindest bei mir, ein bisschen Betrübtheit am Ende des Films übrig. Alles andere würde mich bei einem solchen Film aber auch verwundern.
Die Message: Was man aus dem Film mitnehmen kann
Zusätzlich zu dem Einblick in die oben beschriebene Subkultur finde ich besonders eines bemerkenswert, nämlich die Person des Genesis Potini, und zwar sowohl wie im Film dargestellt als auch die Realfigur. Trotz der internen und externen Schranken, der psychischen Probleme und gesellschaftlichen Umstände, kämpft Genesis für etwas, für das er Leidenschaft hat. Aber nicht nur für sich, schließlich leitet er nicht die nationalen Top-Mannschaften, deren Mitglieder meist aus wohlhabenden Gegenden kommen, sondern für Kinder und Jugendliche mit wenig Perspektive aus der Region.
Und das ist es, warum ich den Beitrag über den Film und den Film selbst in die Kategorie Inspiration einordne. Ich fühle mich gerade verleitet, die Moral-Keule zu schwingen, aber ich glaube jeder von uns weiß: Wenn eine solche Person wie Genesis – natürlich begabt, aber auch stark eingeschränkt – es schafft, ein nicht-egoistisches Ziel über Leidenschaft trotz aller Hindernisse zu erreichen – wie können wir dann die Schuld für das Nicht-Erreichen unserer Ziele anderen Menschen als uns selbst geben?
Das Talent des Genesis Potini kommt am 16. Juni 2016 in die deutschen Kinos.
Der Film bei Cinemaxx (Spielzeiten ab 14. Juni verfügbar)
Bewertungen und Kritiken bei Rotten Tomatoes
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