
Eigentlich ein alter Hut, die 5-Personen-Regel. Doch irgendwie schaffte es diese (vielleicht zu) simple Feststellung von Jim Rohn wieder zu Beliebtheit: Du bist der Durchschnitt der fünf Personen, mit denen du die meiste Zeit verbringst. Im letzten Jahr bin ich immer wieder über diesen Satz gestolpert, sei es bei Gesprächen mit Unternehmern oder in Podcasts und Büchern. Und auch auf Twitter gab es vor kurzem eine Diskussion dazu, die ich rege verfolgte.
Für frischen Wind in der Debatte sorgte Jan von HabitGym mit seiner Frage, ob diese Regel denn auf reale Personen beschränkt sei. Daraufhin unterhielten wir uns, und ich bot ihm an, den Gedanken fortzuführen. Zu meiner Freude hat er das getan und zwar in Form eines Gastbeitrags.
Jim Rohn: Die 5-Personen-Regel
„Du bist der Durchschnitt der 5 Personen, mit denen du die meiste Zeit verbringst.“
Dieses Zitat stammt von dem berühmten Motivationstrainer Jim Rohn (1930-2009). Wer ihn nicht kennt, sollte unbedingt seine YouTube-Videos schauen. Die Vorträge sind sehr lehrreich und ausgesprochen unterhaltsam.
Sozialwissenschaftler kennen die Rohn’sche „5-Personen-Regel“ unter dem Begriff „Peer-Group-Effekt“. Wer nach dem Peer-Group-Effekt googelt, erhält massenhaft Artikel, die sich zusammengefasst in etwa folgendermaßen lesen: Menschen kopieren gegenseitig ihre Meinungen sowie Verhaltens- und Denkweisen. Schlussfolgerung: Suche dir deine Freunde gut aus, denn du wirst so werden wie sie. Außerdem wirst du so viel Geld verdienen wie sie. Und so weiter.
Den meisten Lesern dürfte das bereits bekannt sein. Der Peer-Group-Effekt ist ein alter Hut.
Was ist mit fiktiven Personen?
Neulich wurde auf Twitter über die 5-Personen-Regel diskutiert. Ich begann mich zu fragen, ob diese Regel auch für fiktive Personen gilt. Für Roman-, Computerspiel-und Filmhelden zum Beispiel? Konkret gefragt: Färben die Eigenschaften meiner Serienhelden auf mich ab?
Die Implikationen wären toll: Fiktive Personen sind nämlich rund um die Uhr verfügbar. Man könnte sich seine fiktive Peer Group – den persönlichen Wünschen entsprechend – maßgeschneidert zusammenstellen. Man müsste nur immer wieder die passenden Videos schauen oder die Bücher lesen.
Wäre die 5-Personen-Regel auch auf fiktive Personen übertragbar, müsste das natürlich auch negative Folgen haben: Es würde bedeuten, dass einige Filme und Computerspiele ihre exzessiven Konsumenten zu Gewalttätern machen.
Der bekannte Psychiater Manfred Spitzer ist von diesem Zusammenhang überzeugt. Andere Personen, insbesondere die Spieler der angeblich gewaltfördernden Ego-Shooter, streiten einen Zusammenhang entschieden ab. Fakt ist: Professor Spitzer gibt in seinen Büchern und Vorträgen (die man sich auf YouTube angucken kann) zu diesem Thema nicht einfach nur seine Meinung wieder. Er zitiert Studien und stellt Zusammenhänge zu den Lernmechanismen des menschlichen Gehirns her. Die Gegenseite beruft sich in vielen Fällen nur auf persönliche Beobachtungen.
Als Wissenschaftlicher fällt es mir natürlich schwer, mich nicht auf die weniger populäre Seite von Herrn Spitzer zu schlagen, zumindest was die Methodik der Wahrheitsfindung angeht. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass ich glaube, Ego-Shooter würden Menschen zu Massenmördern machen. Ich glaube nur nicht, dass sie gar keine Auswirkungen haben.
Wäre damit schon bewiesen, dass die 5-Personen-Regel auf fiktive Personen übertragbar ist? Ich denke nicht. Die von Professor Spitzer zitierten Studien zeigen ja nur, dass es überhaupt (messbare) Effekte gibt. Sie zeigen aber nicht, dass diese Effekte ausreichend stark sind, um exzessive Computerspieler zwangsweise zu Massenmördern zu machen. Die 5-Personen-Regel würde aber genau das vorhersagen.
Fiktive Personen scheinen zwar einen messbaren Einfluss auf uns zu haben, aber dieser Einfluss scheint nicht besonders groß zu sein. Zumindest was die negativen Auswirkungen angeht.
Beim Peer-Group-Effekt handelt es sich in Wirklichkeit um zwei Effekte
Betrachten wir die Sache einmal aus einer anderen Perspektive: Gibt es triftige Gründe, aus denen die 5-Personen-Regel nur eingeschränkt für fiktive Personen gelten sollte? Ich denke schon.
Wir dürfen ja nicht vergessen, dass nicht nur wir uns aussuchen, mit wem wir unsere Zeit verbringen. Auch die (realen) Menschen, mit denen wir unsere Zeit verbringen suchen sich uns als Freunde aus. Menschen streben von Natur aus danach, sich in Situationen zu begeben, die ihnen angenehm sind. Der Umgang mit Menschen, die uns ähnlich sind, ist für uns angenehm und aus Gründen der Symmetrie ist es auch für die Gegenseite angenehm.
Beim Peer-Group-Effekt handelt es sich also nicht um einen reinen Anpassungseffekt. Es liegt zum Teil auch eine Selektion vor. Soll heißen: Es mag zwar richtig sein, dass wir unserer Peer Group immer ähnlicher werden, aber die Zusammensetzung der Peer Group wird dabei auch durch vorher schon bestehende Ähnlichkeit bestimmt.
Unsere Roman-, Computerspiel- und Filmhelden suchen wir uns nach ganz anderen Kriterien aus, als unsere echte Peer Group. Ähnlichkeit mit der eigenen Person spielt dabei – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle. Unsere Helden haben außerdem kein Mitspracherecht.
Warum wir den Mitgliedern unserer Peer Group immer ähnlicher werden
Dass man den Mitgliedern seiner Peer Group mit der Zeit immer ähnlicher wird, hat meiner Ansicht nach unter anderem folgende Gründe: Viel Zeit miteinander zu verbringen bedeutet, dass die Personen – zumindest während der gemeinsam verbrachten Zeit – die gleichen Dinge tun. Sie machen zusammen Sport oder essen zusammen Fast Food. Sie bilden die gleichen Gewohnheiten und die Gewohnheiten formen wiederum die Menschen.
Bei der Begegnung mit fiktiven Personen findet keine gemeinsame Tätigkeit statt.
Wenn ich eine Biographie meines Idols lese, dann ist meine Tätigkeit das Lesen. Mein Idol „macht“ währenddessen ganz andere Sachen. Von gemeinsamen Gewohnheiten kann keine Rede sein. Natürlich kopiere ich beim Lesen ein Stück weit das Mindset meines Idols. Realistisch betrachtet handelt es sich dabei aber nicht um das echte Mindset, sondern nur um meine Interpretation davon.
Es gibt noch weitere Gründe, die gegen eine direkte Beeinflussung durch fiktive Personen sprechen. Unter anderem Professor Spitzer berichtet, dass wir nicht nur über sprachlich transportierte Informationen von anderen Menschen lernen, sondern auch über Mimik, Gestik und teilweise sogar durch chemische Botenstoffe. All das können uns unsere fiktiven Helden nur sehr bedingt liefern.
Die Frage, ob die 5-Personen-Regel auch für fiktive Personen gilt, muss wohl mit „nein“ beantwortet werden. Fiktive Personen sind nicht in gleichem Maße dazu in der Lage uns zu formen, wie unsere echten Bezugspersonen.
Eine alternative Schlussfolgerung
Wie bereits erwähnt, wird aus der 5-Personen-Regel häufig geschlussfolgert, dass man die falschen Menschen meiden und sich stattdessen mit den richtigen Menschen umgeben sollte.
Mit dieser Schlussfolgerung bin ich nur zum Teil einverstanden. Sich sein Umfeld gezielt auszusuchen ist wahrscheinlich besser, als alles dem Zufall zu überlassen. Meiner Meinung nach ist es aber nicht die beste Lösung.
Wenn jeder versucht, die 5-Personen-Regel wie oben beschrieben anzuwenden, dann hätte am Ende niemand etwas davon. Jeder würde versuchen, sich „bessere“ Personen für seine Peer Group zu suchen, die ihrerseits wiederum selbst stets auf der Suche nach „besseren“ Personen sind. Alle Menschen wären nur noch damit beschäftigt ihre Freundeskreise neu zu organisieren. Würden wir alle nach dieser Strategie handeln, hätten wir am Ende nur Zeit und Energie verschwendet.
Klüger ist meiner Meinung nach folgende Strategie: Sorge aktiv dafür, dass du „besser“ wirst und auf diese Weise auch attraktiv für die Personen bist, die du in deiner Nähe wünschst.
Wenn wir uns alle an diese Regel halten, werden wir kontinuierlich „besser“. Natürlich musst du aktiv etwas tun, um attraktiv für andere Personen zu werden. Aber die alternative Methode, unerwünschte Person „loszuwerden“ und sich neue, „bessere“ Freunde anzulachen, ist auch nicht gerade einfach.
Über den Gast-Autor:
Jan Höpker ist promovierter Biochemiker und Gründer des Blogs HabitGym. Mit Hilfe von praktischen Konzepten und Ideen hilft er seinen Lesern dabei, mehr aus ihrem Leben zu machen. Am besten schaut ihr einfach mal auf seinem Blog vorbei.
[…] Die Rohn’sche 5-Personen-Regel gilt im Positiven, wie auch im Negativen: Andere Menschen können uns nach oben ziehen, aber auch nach unten drücken (Gilt die 5-Personen-Regel eigentlich auch für fiktive Freunde?). […]