Vorwort:
Aktuell lese ich wieder recht viele Papers und Bücher im Bereich Psychologie. Was mich schon immer an dieser Wissenschaft interessiert hat, ist die Möglichkeit, Einblicke in unser Selbst zu erhalten sowie besser verstehen zu können, warum wir uns in gewissen Situation so verhalten wie wir uns verhalten. Allem voran die Frage nach unserer Willenskraft und den möglichen Einflussfaktoren der Selbstkontrolle begegne ich mit besonderer Neugier.
In drei Teilen möchte ich mich daher dem Thema annehmen und über Selbstkontrolle schreiben: Was sind die Einflussfaktoren? Sind wir manipulierbar?
Wir haben Mitte November und das Jahr neigt sich dem Ende zu. 2015 steht quasi fast vor der Haustüre, wenn man bedenkt, wie schnell die Zeit vergeht. Und beim Rutschen ins nächste Jahr machen sich viele Menschen (immer noch) gute Vorsätze. Die meisten davon sind schon nach wenigen Tagen gebrochen.
Was ist los mit uns? Wir Menschen bilden uns unglaublich viel auf unsere kognitiven Fähigkeiten ein, doch unsere Willenskraft scheint das manchmal völlig anders zu sehen.
Was ist Willenskraft eigentlich? Im Alltag verwenden wir den Begriff regelmäßig, sei es, um Verständnis über andere auszudrücken (“Sein Wille war einfach nicht stark genug”) oder um uns selbst Vorwürfe zu machen (“Wäre meine Willenskraft stärker, dann hätte ich nicht meinen Ex angerufen”).
In der Psychologie wird für das, was wir unter Willenskraft verstehen, ein anderer Begriff verwendet: Volition
Volition or will is the cognitive process by which an individual decides on and commits to a particular course of action. It is defined as purposive striving and is one of the primary human psychological functions. Others include affection (affect or feeling), motivation (goals and expectations), and cognition (thinking). Volitional processes can be applied consciously or they can be automatized as habits over time. – wikipedia.org
Fake Party Experiment
Eine Studie von 2005 kam zu dem Ergebnis, dass eine wahrgenommene soziale Ausgrenzung unsere Selbstkontrolle schwächt. Einer der beteiligten Forscher war Roy Baumeister, einer der berühmtesten Psychologen auf dem Gebiet der Selbstkontrolle und Willenskraft.
Für die Studie wurden Studenten in Gruppen von sechs Gleichgeschlechtlichen eingeteilt. Anschließend wurden die einzelnen Gruppe in einen Raum geführt, wo sie sich 20 Minuten lang miteinander unterhalten und sich gegenseitig besser kennenlernen sollten. Die Atmosphäre war mit der einer kleinen Cocktail-Party vergleichbar – locker und freundlich.
Zudem wurden die Studenten dazu angehalten, sich die Namen der anderen zu merken. Denn nach dem Smalltalk wurden die einzelnen Teilnehmer in einen anderen Raum geführt, wo sie sich für zwei Teilnehmer entscheiden sollten, mit denen sie die nächste Aufgabe der Studie bestreiten möchten.
Die traurige “Wahrheit”
Doch die Partnerwahl der Studenten wurde ignoriert. Stattdessen wurden die Studenten in zwei Gruppen eingeteilt, denen jeweils etwas anderes gesagt wurde. Nennen wir die eine Gruppe der Beliebten und die andere Gruppe der Ausgegrenzten.
Den Teilnehmern der Gruppe der Beliebten wurde gesagt, dass sie unglaublich positiv bei den anderen Teilnehmern aufgefallen wären. Angeblich wollten alle mit ihnen zusammen arbeiten, doch leider wäre das nicht möglich. Die Platzvergabe sei schon vollzogen und man müsse nun alleine arbeiten. Damit stellten die Versuchsleiter sicher, dass die Person nicht die Wahrheit herausfindet.
Den einzelnen Teilnehmern der anderen Gruppe (die Ausgegrenzten) wurden das genaue Gegenteil verkündet: “Es tut uns leid, dir das sagen zu müssen. Aber keiner möchte mit dir zusammenarbeiten.” Auch diese Personen bestritten die nächste Aufgabe also alleine.
So traurig die Nachricht für die zweite Gruppe war, die nächstes Aufgabe ist für viele ein Traum.
Die Teilnehmer beider Gruppen wurden in einen Raum geführt, in dem sich eine Schüssel mit 35 kleinen Schoko-Keksen befand, die sie unter anderem auf Geschmack und Form testen sollten. Dafür wurden die Teilnehmer aufgefordert, einen standardisierten Fragebogen auszufüllen, wie er auch bei normalen Geschmackstests für Unternehmen der Lebensmittelbranche verwendet wird. Dafür hatten sie 10 Minuten Zeit und sie durften so viele Kekse essen könnten, wie sie möchten.
Der eigentliche Gegenstand der Untersuchung war allerdings ein anderer: Beeinflusst unser Gefühl von sozialer Zugehörigkeit den Kekskonsum?
Das Ergebnis der Studie ist ein eindeutiges Ja auf diese Frage. Im Durchschnitt aßen die Testpersonen der Gruppe der Ausgegrenzten doppelt so viele Kekse wie die Beliebten.
Die Wahrnehmung von sozialer Ausgrenzung hat einen Einfluss auf die Fähigkeit der Selbstkontrolle. Doch warum ist das so? Warum aßen die Teilnehmer, die vermeintlich unbeliebt waren und von den anderen zurückgewiesen wurden, wesentlich mehr Kekse?
Selbstkontrolle ist nötig, wenn man sich prosozial verhalten möchte.
Anders ausgedrückt: Wenn man sich von seiner besten Seite zeigen will, dann sollte jeder Satz und jede Bewegung wohlüberlegt sein. Für die Teilnehmer der Gruppe des Ausgegrenzten hatte ihr gutes Auftreten allerdings nicht den gewünschten Effekt. Ihre freundliche Art hatte (vermeintlich) keinen überzeugt. Versetzt man sich in ihre Lage, dann ist nachvollziehbar, dass sich manche folgende Frage gestellt haben mussten: “Warum sollte ich mich selbst zusammenreißen, wenn es doch eh keinen interessiert?”
Ihre Selbstkontrolle war gekränkt und geschwächt. Gleichzeitig waren die Kekse eine zu große Verlockung.
Es gibt weitere Studien, die diese Vermutung bestätigen. Wenn Leute sich sozial ausgegrenzt fühlen, dann neigen sie dazu weniger kooperativ und weniger motiviert zu sein. Die Chance von selbstverletzenden Verhalten sowie steigender Alkohol-, Tabak- und Drogenkonsum nimmt ebenfalls mit der wahrgenommenen Ausgrenzung zu.
Das war der erste Teil der Reihe über Willenskraft und Einflussfaktoren. Im nächsten Teil wird es um das Phänomen namens Ego Depletion (Selbsterschöpfung) gehen, dass ebenfalls maßgeblich von Baumeister erforscht und wissenschaftlich vorangetrieben wird.
Quellen und Literatur:
Youarenotsosmart.com – Ego Depletion
Ego Depletion – Is the Active Self a Limited Resource?
[…] Willkommen zum zweiten Teil meiner Blogpost-Reihe über Willenskraft. Im ersten Teil ging es um den Einfluss von wahrgenommener soziale Akzeptanz auf unsere Selbstkontrol… […]