Heute vor 70 Jahren befreiten russische Soldaten die Gefangenen von Auschwitz. Ein dunkles Zeitalter der europäischen Geschichte ging zu Ende. Etwas, das vor meiner Zeit passiert ist und mich dennoch ungemein berührt. Als ich letztes Jahr mein Auslandsstudium in Warschau angefangen habe, besuchte ich auch Auschwitz. Es war der traurigste Tag meines Lebens.
Jetzt, zum Jahrestag der Befreiung, habe ich über meinen Besuch in Auschwitz geschrieben. Der Text wurde heute in der Dienstagsausgabe unserer regionalen Tageszeitung veröffentlicht. Ich möchte ihn aber auch meinen Online-Lesern nicht vorenthalten. Das etwas andere Gedankenhäppchen…
„Das muss wohl der traurigste Beruf der Welt sein. Wie kann jemand hier täglich sein wollen?“, denke ich und höre weiter der Dame zu, die über historische Fakten referiert. Ich bin in Auschwitz, dem wohl furchtbarsten Ort der Welt. Zusammen mit anderen Erasmus-Studenten stehe ich vor dem Eingang zum Konzentrationslager. Das Schild mit dem zynischen Leitsatz befindet sich über uns: Arbeit macht frei.
Die Stimmung ist noch normal, wie bei einem typischen Museumsbesuch. Ein paar Leute fangen an Fotos zu machen und werden ermahnt. Wir sollen uns gut überlegen, aus was für Gründen wir Bilder machen. Ich frage mich, was sie uns damit sagen will. Wir gehen weiter.
Es kommt mir so vor, als besuche ich das Set eines berühmten Films. Die ganzen Gebäude kommen mir unwirklich vor. Man kann sich einfach nicht vorstellen, was an diesem schrecklichen Ort passiert ist. In der Schule kommt das Thema zwar regelmäßig im Geschichtsunterricht vor. Wirklich dort zu sein, ist noch mal etwas ganz anderes.
Wir betreten das erste Gebäude. Leute kommen uns entgegen. Überall traurige Gesichter. In Auschwitz herrscht ein kollektives Trauern.
Wir werden in einen Raum geführt, in dem sich ein Berg von geflochtenen Zöpfen befindet, die den Mädchen bei der Ankunft abgeschnitten wurden, um sie später zu Socken für die Soldaten zu verarbeitet. Die Effizienz der Nazis ist erschreckend. Die Stimmung beginnt umzuschlagen.
Wir schauen durch eine Glasscheibe in einen wohnzimmergroßen Raum, der voller Koffer der Opfer ist. Auf vielen kann man den Namen des Besitzers lesen. Wir gehen vorbei an Hügeln aus Kämmen, Schuhen und anderen Dingen, die man den Gefangenen abgenommen hat. Dann ging es endlich wieder nach draußen. Ich brauchte frische Luft.
Wir waren nun in der Mitte des Lagers, an dem sich zur Winterzeit ein Weihnachtsbaum befand. Geschenke gab es keine. Stattdessen legten die Nazis manchmal ein Dutzend Leichen unter den Baum. Ich versuche mir das vorzustellen. Surreal.
Wir betreten das nächste Gebäude. Im Gang schauen die Gesichter von allen Gefangenen einen an. Unter jedem Bild steht der Name sowie die Zeit, die der Gefangene in Auschwitz verbracht hat. Die meisten überlebten keine zwei Monate.
Es fällt mir immer schwerer mich zu beherrschen. Wir sind mittlerweile im sogenannten Todesbunker. Hier ist es am schlimmsten. Wir stehen vor den Stehzellen, die je etwa einen Quadratmeter groß sind. Auf diesem knappen Raum mussten bis zu vier Gefangene mehrere Nächte stehend ihre Strafe ausharren.
Auschwitz ist voller schrecklicher Anekdoten und Zeugen dieser dunklen Zeit der Geschichte. Insgesamt dauert unsere Führung 5 Stunden. Es kommt einem vor, als sei man in einem Albtraum gefangen, der vor 70 Jahren Realität war.
Am Ende habe ich auch eine Antwort auf die Frage vom Anfang gefunden:
Wer hier arbeitet, der möchte aufklären. Damit so etwas nie mehr wieder passiert!
Aus geschichtlichem Anlass habe ich dieses etwas andere Gedankenhäppchen hier veröffentlicht. Eigentlich geht es bei Gedankennahrung um positive und inspirierende Sachen. Wir sollten allerdings bei all dem Optimismus auch nicht vergessen, zu was für schrecklichen Dingen Menschen im Kollektiv fähig sind. Es geht nicht darum, mit dem Finger auf “die Deutschen” zu zeigen. Die ganze Welt darf das nicht vergessen. Auch 70 Jahre nach dem Ende dieses düsteren Kapitels. Optimismus kann nur in der Realität wirklich Früchte tragen.
Nachdenkliche Grüße
Jonas
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