
Die letzten Monate habe ich viel Zeit über meinem Schreibtisch und in der Bibliothek verbracht. Ich bin nämlich gerade dabei, mein Studium abzuschließen und entsprechend mit der Recherche für meine Masterarbeit beschäftigt. Da ich mir das Thema selbst ausgesucht habe und entsprechend motiviert bin, fällt mir die Arbeit auch nicht schwer. Über öde Zeiten hilft die Musik und der Kaffee bringt die Denkmachine zum Laufen. Also: Kopfhörer auf und mit einem Stift bewaffnet zu den Papers.
Dass es gerade richtig gut läuft, merke ich daran, wenn mein Zeitgefühl mich im Stich lässt. Wenn ich schwören könnte, dass ich gerade höchstens eine Stunde gearbeitet habe, es aber in Wahrheit schon Zeit fürs Mittagessen ist. Dieser Zustand ist ein Segen und ich bin mir sicher, der Leser kennt ihn. Es ist ein Zustand voller Konzentration und Produktivität. Und mittlerweile hat er auch einen Namen: Man nennt ihn Flow.
Da bei mir die Zeit zum Schreiben (außer der Masterarbeit) gerade wieder sehr knapp ist, freut es mich, dass an dieser Stelle Laura von Flowletics den Zustand näher beschreibt. Was genau ist Flow? Wer hat diesen Zustand entdeckt? Was sagen die Wissenschaftler? Wie kann ich ihn hervorbringen?
Gegen Ende des Artikels findest du eine Quellenauflistung. Mittlerweile gibt es eine Reihe von praxisnahen Büchern des Glücksforschers und Flow-Entdeckers Mihali Csíkszentmihályi:
Flow im Beruf: Das Geheimnis des Glücks am Arbeitsplatz
Flow und Kreativität: Wie Sie Ihre Grenzen überwinden und das Unmögliche schaffen
Flow. Das Geheimnis des Glücks
Wer digitaler unterwegs ist, der kann Flowletics ausprobieren. Flowletics ist ein kostenloser Mental-Coach in App-Form. Mehr Infos auf der Flowletics-Website oder einfach mal aus dem App-Store herunterladen und selbst testen.
Nun aber erst mal zum Thema selbst. Viel Spaß beim Lesen und nochmals vielen Dank an Laura für die Unterstützung.
Jonas
Die Macht des Mentalen
Stell dir mal vor du würdest 50 Millionen im Lotto gewinnen. Hammer, oder? Mach ruhig mal kurz die Augen zu und male es dir vor deinem inneren Auge aus. Wie fühlst du dich in dem Moment, in dem du davon erfährst? Was bedeutet es für dich? Wie wird sich dein Leben verändern? Und natürlich: Was machst du mit der ganzen Kohle?
Und jetzt klopf dir auf die Schulter, denn du hast soeben eine kognitive Leistung erbracht, die dich einzigartig menschlich macht. Höhere geistige Funktionen wie das Verständnis von Zeit, das Planen in die weite Zukunft, das imaginäre Durchspielen verschiedener Szenarien, das Überlegen von Strategien und vor allem die Reflexion über uns selbst und das Hinterfragen unserer Rolle innerhalb unseres sozialen Gefüges werden uns erst durch Strukturen im Frontallappen (auch präfrontaler Kortex genannt) ermöglicht, die zum entwicklungsgeschichtlich jüngsten Teil unseres Gehirns gehören und uns also vereinfacht gesagt „menschlicher“ als alle anderen Lebewesen machen.
Doch, wie du sicherlich aus eigener Erfahrung weißt, ist diese unglaubliche Vorstellungskraft des Menschen nicht immer Segen, sondern häufig auch Fluch. Denn wir Menschen verwenden diese einzigartigen kognitiven Fähigkeiten viel zu selten für unser Wohlbefinden und viel zu häufig gegen uns selbst, nämlich um an uns zu zweifeln oder uns vorzustellen, was alles schiefgehen kann.
Wie zum Beispiel, wenn du in zwei Wochen eine wichtige Projektdeadline auf der Arbeit hast und obwohl der Zeitpunkt noch nicht da ist, dir in Gedanken bereits permanent ausmalst, wie du es nicht schaffen wirst. Du bist gestresst, weil du das Gefühl hast, dass die Zeit zu knapp ist oder du glaubst, mit der Aufgabe überfordert zu sein. Du machst dir Sorgen, weil du Angst hast, zu versagen und deshalb den Respekt deiner Chefs und Kollegen zu verlieren.
Wir stehen uns selbst im Weg
Denn diese zumeist unbegründeten Sorgen und Ängste machen es dir unnötig schwer, gelassen zu bleiben und konzentriert an deinen Aufgaben zu arbeiten.
In diesen Phasen wünschst du dir nichts lieber, als dieses negative Gedankenkarussell einfach mal abstellen und für einen Moment alle Sorgen, möglichen Konsequenzen und sogar dich selbst vergessen zu können. Du sehnst dich nach diesem geistigen Zustand, in dem alles wie von selbst zu laufen scheint.
Dieser Zustand, in dem du super produktiv bist, weil du deine kognitive Energie mit voller Konzentration auf die aktuelle Aufgabe oder Aktivität fokussierst und ein Gedanke in den nächsten zu fließen scheint.
Das kennst du, oder? Dieser Zustand hat auch einen Namen: Er nennt sich:
Flow
Und dabei geht es nicht um besonders wortgewandte Rapper oder experimentierfreudige Fitnessjunkies, die man auf Instagram unter #Flow meist zu sehen bekommt. Der Flowzustand ist weit mehr als ein neues, englisches Trendwort, das inflationär verwendet wird, um zu beschreiben, wie gut und einfach gerade alles läuft. Auch das englische Idiom “just go with the flow” hat mit dem ursprünglichen Flow-Begriff nicht mehr viel zu tun. Der Ratschlag, “einfach mit dem Strom zu schwimmen” und passiv das zu tun, was alle machen, klingt zwar nach lässigem Treibenlassen, lässt aber die aktive Dimension des Flowzustands, die die Flow-Erfahrung zu einem produktiven Schaffensrausch macht, außer Acht.
Flow im eigentlichen Sinne ist ein wissenschaftliches Konzept aus der Positiven Psychologie, das vom ungarisch-amerikanischen Psychologen Mihaly Csíkszentmihály seit den 1970ern entwickelt und untersucht wurde. Im Rahmen seiner Untersuchungen ließ Csíkszentmihályi die Probanden den Zustand beschreiben, in dem sie sich wohl und produktiv fühlten.
Viele der Probanden beschrieben die Erfahrung als “alles fließt” oder in einem ähnlichen Wortlaut – so dass der Name dieses Phänomens dann Flow lautete. Aufgrund der nahezu deckungsgleichen Beschreibungen aus seinen Interviews konzipierte Csíkszentmihály die Flow-Theorie.
Laut Csíkszentmihály entsteht Flow vor allem, wenn wir uns während einer schwierigen Aufgabe optimal gefordert fühlen und uns dadurch im sogenannten Flow-Kanal befinden.
Erstaunlicherweise empfinden wir im Flowzustand alle so ziemlich dasselbe. Steven Kotler und Jamie Wheal vom Flow Genome Project nutzen in ihrem Buch “Stealing Fire” das Akronym S.T.E.R., um die Wahrnehmung im Flow zu beschreiben.
- Selflessness: Du bist so so fokussiert, dass du mit der Tätigkeit zu verschmelzen scheinst und dich selbst im Moment verlierst.
- Timelessness: Dein Zeiterleben verändert sich. Sekunden werden zu Minuten oder Stunden zu Minuten.
- Effortlessness: Und auf einmal fühlt es sich vollkommen mühelos an. Alles scheint wie automatisch zu laufen.
- Richness : Du bist hochkonzentriert und verspürst ein emotionales Hochgefühl, weil der hohe kognitive In- und Output sich mit einem Gefühl von Motivation, Begeisterung und Freude paart.
Klingt irgendwie mystisch? Schon ein bisschen, aber wenn man die Neurowissenschaft dazu befragt, gibt es ganz plausible Erklärungen für diese charakteristischen Wahrnehmungen.
Transiente Hypofrontalitätstheorie (THFT)
Ein Ansatz ist die transiente Hypofrontalitätstheorie, die besagt, dass verschiedene Teile des Gehirns im Flowzustand aktiviert sind, während andere – insbesondere Teile des dorsolateralen präfrontalen Kortex – vorübergehend (transient) runterreguliert (hypo) oder gar ganz ausgeschalten werden.
In diesen Teilen des Frontalkortex, entstehen wie oben schon beschrieben, unsere menschlichen Eigenschaften und Gedanken wie das Zeitverständnis, Planung, Vorstellungskraft, strategische Überlegungen oder Selbstreflexion. Bei einer Herunterregulierung verschwinden diese Eigenschaften und die damit verbundenen Gedanken, und du schaffst es dich selbst (Selflessness) und die Zeit (Timelessness) zu vergessen, womit du über dich hinauswachsen kannst.
Die transiente Hypofrontalitätstheorie besagt auch, je mehr Prozesse im Gehirn automatisiert ablaufen, desto schneller und effizienter kann es arbeiten und desto weniger kognitive Anstrengung sind nötig. Die Transient Hypofrontality kann also das charakteristische Gefühl von Mühelosigkeit (Effortlessness) erklären. Diese Art der Regulation schaufelt sozusagen kognitive Kapazitäten frei, die dann darauf verwendet werden können, neue komplizierte Aufgaben zu lösen oder besonders kreativ zu werden.
Zusätzlich zur Regulierung der aktiven Hirnareale, werden auch bestimmte Neurotransmitter angepasst, die deine Wahrnehmung im Flow besonders intensiv machen (Richness). So sorgen vor allem Dopamin und Noradrenalin dafür, dass deine Konzentration, Energie und Aufmerksamkeit gesteigert werden.
Gleichzeitig werden im Flow aber auch vermehrt biochemische Botenstoffe im Gehirn ausgeschüttet, die dafür sorgen, dass du weniger impulsiv, gestresst und ängstlich bist. So geben dir bspw. Neurotransmitter wie Serotonin, Endorphine und Oxytocin ein Gefühl von Verbundenheit, Zufriedenheit, Ruhe und Glück.
Der Mythos Flow ist also geklärt?
Aber die Hirnaktivität im Präfrontalen Kortex ist sehr komplex, daher denken einige Wissenschaftler, dass die Theorie der Transient Hypofrontality zwar ein guter Ansatz ist, aber den Flow in Gänze noch nicht erklärt. Einige Funktionsweisen von Flow-Mechanismen bleiben noch offen, sodass die weitere Forschung an diesem psychologischen Phänomen noch viele Möglichkeiten bereit hält.
Wusstest Du eigentlich, dass du mit Mentaltechniken und Meditation dein Gehirn auf Flow trainieren kannst? Probier’s gleich aus.
Und falls Du noch tiefer in die Materie Flow eintauchen und dich öfter im Moment verlieren möchtest, schau für praktische Tipps gern in unserem Flowletics Magazin vorbei oder folg uns auf Intagram @flowletics.
Quellen
- Harris, D.J., Vine, S.J. & Wilson, M.R. Neurocognitive mechanisms of the flow state (2017). School of Sports and Health Science, University of Exeter, Exeter, United Kingdom
- Stangl, W. (2018). Stichwort: ‚Flow‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik (2018-08-06)
- Nakamura, J.; Csikszentmihályi, M. (20 December 2001). „Flow Theory and Research“. In C. R. Snyder Erik Wright, and Shane J. Lopez. Handbook of Positive Psychology. Oxford University Press. pp. 195–206. ISBN 978-0-19-803094-2 Greve, 2016.
- Organizational Flow. Der leichte Weg zur Höchstleistungsorganisation Csikszentmihalyi, 2017.
- Flow. Das Geheimnis des Glücks
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