
Steve Jobs, Elon Musk, Jeff Bezos – das sind die großen Visionäre unserer Zeit. Über ihre Vorstellungen der Zukunft haben wir in den letzten Jahren einiges hören können. Kleine Computer, die sich hinter einem handgroßen Bildschirm verstecken und mit dem sich das Internet in der Hosentasche transportieren lässt (Apples iPhone), elektrische Fahrzeuge, die es mit schnellen Hochklasse-Autos an der Ampel aufnehmen könne (Tesla), wiederverwendbare Raketen (Space X und Blue Origin), ein zukünftiges Leben auf dem Mars (Vision von Space X), ein Laden, in dem man alles mögliche online kaufen und sich einfach nach Hause liefern lassen kann (Amazon), unterirdische und mehrstöckige Tunnel, um das Verkehrschaos moderner Großstädte zu löse (The Boring Company), und und und.
Welche Eigenschaften muss eine Person haben, die nicht nur von solchen großen Konzepten und Wunschvorstellungen träumt, sondern alles daran legt, sie auch umzusetzen? Tag für Tag und allem Widerstand zu Trotz?
Den besten Einblick in die Köpfe solcher Menschen erhält man meiner Meinung nach auf zwei Arten. Erstens, indem man sich Interviews und Videos von Vorträgen anschaut und über das Gesagte reflektiert. Zweitens, durch das Lesen von Biografien, um nicht nur das Denken sondern die Herkunft dieser Leute kennenzulernen. Über Elon Musks Biografie habe ich ja bereits an dieser Stelle geschrieben. Was Steve Job betrifft, so kann ich die autorisierte Steve Jobs Biografie von Walter Isaacson jedem nur ans Herzen legen.
An dieser Stelle soll es aber um den Dritten im Bunde gehen, um Jeff Bezos, Gründer und CEO von Amazon, dem wohl größten Laden der Welt, in dem man wirklich alles kaufen kann. In meinem Sommerurlaub habe ich Brad Stones internationalen Bestseller The Everything Store: Jeff Bezos and the Age of Amazon gelesen. Die deutschsprachige erweiterte Neuausgabe Der Allesverkäufer: Jeff Bezos und das Imperium von Amazon erscheint übrigens im Dezember 2018.
Wenig überraschend ist, wie viel ich aus dieser Biografie für das eigene Leben wieder mitnehmen konnte. An dieser Stelle unternehme ich gar nicht erst den Versuch einer Buchvorstellung und auch soll es nicht um Jeff Bezos’ Leben an sich gehen. Stattdessen möchte ich in diesem Blogbeitrag etwas vorstellen, das besonders im englischsprachigen Raum als Jeffism bekannt geworden ist: Jeff Bezos einfach zu zitierende Weisheiten in Bezug auf Business und mehr. Ich stelle hier die fünf Ideen und Gedanken vor, die mir am meisten im Kopf hängen geblieben sind.
In der Biografie des Amazon-Gründers tauchen Jeffisms immer mal wieder auf. Sie sind stark mit den kuriosen Anekdoten verwoben, die im Laufe der zwanzigjährigen Geschichte des Unternehmens, das nach Apple als zweites Unternehmen überhaupt einen Marktwert von über einer Billion Dollar erhalten hat, entstanden sind.
Los geht’s!
Jeffism 1: Baue deine Strategie auf Dinge, die sich nicht verändern.
Die Grundphilosophie von Amazon ist recht leicht zusammengefasst: Produkte kommen und gehen, was sich aber niemals ändern wird, ist der Wunsch von Kunden nach einer großen Auswahl, einfachen Bestellprozessen, schnellen Lieferungen und günstigen Preisen.
Renne nicht dem neuesten Trend hinterher, sondern konzentriere dich auf die größeren Dinge, auf das Versprechen, dass du deinen Kunden machst und weshalb sie sich letztlich für dich und nicht für einen Konkurrenten entscheiden. Und bleiben dem treu. Das führt uns zum nächsten Jeffism.
Jeffism 2: Fokussiere dich obsessiv auf die Kunden. Erkenne die Kundenwünsche und arbeite rückwärts von dort.
Weisheit Numero duo ist nicht so leicht in schönes Deutsch zu übersetzen, daher folgt nun die Erklärung: Was wollen Kunden wirklich und wie kommt man dahin? Quasi: Man hat schon das Ergebnis und sucht nach den Schritten, die nötig sind, um zu diesem Ergebnis zu gelangen.
Ein Beispiel: Leute wollen möglichst einfach Produkte kaufen können und zwar dann, wenn sie es wollen. Sie wollen nicht warten, bis die Buchhandlung auch genau das Werk führt, was man lesen möchte. Leute werden mehr und mehr ungeduldig: Ich will den neuen Marvel-Film in meiner Sammlung haben, und zwar möglichst bald und ohne Aufwand. Amazon mit seiner schier endlosen Auswahl und Verfügbarkeit hat es sich zum obersten Ziel gemacht, diesem Wunsch, das irgendwie an das eines quengelnden Kindes an der Supermarktkasse erinnert, zu entsprechen.
So, das Ergebnis steht nun fest: Große Auswahl und Verfügbarkeit (Kundenwünsche also, die sich nicht regelmäßig ändern oder gar Moden unterlegen sind. Siehe Jeffism 1). Wie kommen wir dahin?
Wir brauchen ein gutes Netzwerk, um auch immer die neusten Produkte im Angebot zu haben. Außerdem müssen wir ein ausgeklügeltes Liefer- und Lagersystem aufbauen. Eines, das optimal auf den Trade-off zwischen sofortiger Lieferbarkeit und den entsprechenden Kosten (die es zu minimieren gilt, um Kunden weiterhin einen guten Preis bieten zu können) eingestellt ist. Natürlich sind noch andere Dinge nötig, aber so gelangen wir rückwärts vom Ziel zu den einzelnen Schritten, die zur Erreichung nötig sind.
Der skeptische Leser wird nun sicherlich sagen: “Welches Unternehmen behauptet denn heutzutage nicht, sich besonders auf die Kundenbedürfnisse zu fokussieren? Kann sich ja keiner mehr erlauben!”
Doch jeder, der regelmäßig bei Amazon einkauft, weiß den großzügigen Kundenservice zu schätzen, der tatsächlich die Konkurrenz blass aussehen lässt. Es gehört zu Amazons Geschäftsphilosophie, kurzfristig auf Profit zu verzichten (zum Beispiel durch eine großzügige Produktrücknahme) um langfristig die Kundenzufriedenheit zu sichern und die Marke selbst zu stärken. Um das auch physisch zu verkörpern hat Bezos eines Tages einfach einen leeren Stuhl mit in den Konferenzraum geschleppt und gesagt:
“Hier sitzt der Kunde!”
Als ein hochrangiger Mitarbeiter den Vorschlag brachte, Top-Manager können doch bitte erster Klasse fliegen, platze Bezos beinahe eine Ader am Kopf. “Haben unsere Kunden etwas davon, wenn wir erster Klasse fliegen?” Damit war das Thema geklärt. Mehr zum “intensiven Arbeitsklima” bei Amazon gleich weiter unten.
Außerdem ist es für Mitarbeiter Pflicht, einmal im Jahr einer Call-Center-Schulung beizuwohnen. Jeder muss wissen, wie er sich der Belange der Kunden am besten annimmt. Das zählt übrigens auch für Jeff Bezos selbst. Nette Geschichten. Was dran ist, kann ich natürlich nicht sagen. Aber die ganze Biografie ist voll solcher ulkigen Anekdoten!
Jeffism 3: Wenn du erfinderisch sein willst, musst du dich auf das Scheitern einstellen. Wir sind bereit, für eine lange Zeit missverstanden zu werden.
Den ersten Satz hören wir mittlerweile auf jeder Startup-Konferenz. Er ist so abgedroschen, dass er mittlerweile zu einem Klischee verkommen ist. Aber der zweite Satz, den sollte man wirklich verinnerlichen. Er bring Amazons und Bezos langfristige Orientierung auf elegante Weise zum Ausdruck. Das ist nur noch zu toppen durch den Bau einer Uhr, die ohne Unterbrechung und nur mit minimalem Wartungsaufwand zehntausend Jahre laufen soll (The Long Now 10,000 Year Clock), den Bezos einfach mal so aus eigener Tasche mit 42 Millionen Dollar finanziert hat.
Wenn wir in die Menschheitsgeschichte schauen, dann ist es egal, welche Epoche wir rauspicken: Visionäre zu jeder Zeit sind scheinbar einsame Wölfe, die im Alleingang versuchen, die Welt zu ändern und die im Widerstand gegen die Meinung der gewöhnlichen Menschen stehen.
Wenn wir vor dreißig Jahren dem Brockhausvertreter an unserer Tür gesagt hätten, dass sein Job bald überflüssig ist, weil man auf einem kleinen Bildschirm namens Smartphone einfach das gesammelte Menschheitswissen kostenlos abrufen kann, dann hätte er uns für verrückt erklärt. “Das wird es niemals geben!” Dreißig Jahre später treffen wir ihn wieder und sprechen ihn darauf an. Beschämt schaut er zu Boden und sagt einfach “Ach, das haben Sie gemeint. War ja klar, dass es zu sowas kommen wird!”
Ex-post sind die Dinge nicht mehr so abwegig wie ex-ante.
Bereit zu sein, missverstanden zu werden, bedeutet an seine Vision zu glauben und an ihr festzuhalten, egal was die übrigen Menschen dazu sagen. Sie werden es verstehen. Irgendwann. Oder auch nicht, was uns dann doch zum ersten Teil des Jeffism 2 bringt.
Bezos ist jedenfalls bekannt dafür, mit großen Einsätzen auf seine Visionen zu wetten. Und das nicht nur auf die Zukunft des Handels bezogen. Wie Elon Musk so baut auch er nebenbei seit 2000 eine ernstzunehmende Raumfahrtfirma auf. Warum auch nicht? Das Unternehmen heißt Blue Origin, was so viel bedeuten soll wie: Wir stammen vom blauen Planeten – mal schauen, wo es uns hinzieht.
Eine weitere große Wette, die sich allerdings schon jetzt als äußerst erfolgreich herausgestellt hat, ist Amazons Cloud-Computing-Sparte: Amazon Web Services (AWS). Amazon bietet Firmen wie Dropbox, Netflix und AirBnB aber auch staatlichen Einrichtungen wie NASA und CIA die Flexibilität, die das Unterhalten eigener Server-Farmen nicht bieten kann.
Wie kommt ein Online-Händler auf die Idee, so ein völlig entferntes Geschäftsmodell beackern zu wollen? Da gibt es die berühmte Legende, die man immer wieder in Talks und in Vorlesungen in Business Schools weltweit hört.
Amazons Geschäft ist natürlich nicht jede Woche oder Monat gleich, es ist hochsaisonal. Die meisten Umsätze werden im Winter um die Weihnachtszeit gemacht. Das heißt, im November und Dezember werden bedeutend mehr Leute die Website besuchen als beispielsweise im März. Entsprechend muss eine Infrastruktur geschaffen werden, die diese Flut an kaufwütigen Kunden aushält. Also wird investiert, was das Zeug hält. Und was ist dann im März, wenn relativ wenig Bestellungen eingehen? Dann stehen die Server rum und verursachen Kosten. Da wäre es doch schlau, wenn man sie in der Downtime einfach an andere Firmen vermieten könnte, oder?
Die Gründungsgeschichte von AWS klingt plausibel. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, wie sich in Brad Stones Der Allesverkäufer: Jeff Bezos und das Imperium von Amazon lesen lässt. Amazon-Insider merken an, dass die Legende eine kleinen Logikfehler beinhalte. Im Herbst und Winter, wenn wieder mehr Nachfrage herrscht, müssten AWS-Kunden wie Netflix und das CIA von der Platform geschmissen werden, wenn Amazon die Kapazitäten wieder selbst braucht.
Eine nette Anekdote für Business-Vorträge bleibt der AWS-Gründungsmythos jedenfalls weiterhin.
Jeffism 4: Unsere Kultur ist freundlich und intensiv, aber im Zweifelsfall entscheiden wir uns für Intensität.
Amazon hat den Ruf, sich um die Kunden zu kümmern, wie kein anderes Unternehmen. Aber nicht gerade um die eigene Belegschaft. Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern und die Medienberichte der letzten Jahre bestätigen, dass “Intensität” ganz klar zu Amazons Firmenkultur gehört. Visionäre sind häufig nicht einfach irgendwelche schlauen Menschen, die inspirierende Sätze sagen, welche sich besonders zur Niederschrift oder als Thema für Blogbeiträge eignen.
Wie Steve Jobs, Bill Gates und Elon Musk trat auch Jeff Bezos gegenüber den Mitarbeitern regelmäßig als “unfreundlich” auf, um das mal sachte auszudrücken.
Bezos ist ein harter Boss mit klaren Vorstellungen davon, wo die Reise hingehen soll. Er hat wie Elon Musk wenig Toleranz für Mittelmäßigkeit. Auch das wird dem Leser der Biografie klar. Hier ein paar ausgewählte Sätze, die Bezos in Meetings losgelassen hat:
- “Are you lazy or just incompetent? Why are you wasting my life?”
- “I’m sorry, did I take my stupid pills today?”
- “Do I need to go down and get the certificate that says I’m CEO of the company to get you to stop challenging me on this?” Empowerment und konstruktiver Diskurs mit Mitarbeitern sieht anders aus.
- Nachdem die Pläne für das nächste Jahr vorgestellt wurden: “I guess [Abteilung einfügen] isn’t doing anything interesting next year.”
Der Kunde steht an erster Stelle. Die Mitarbeiter sind ein gutes Stück weiter unten angesiedelt. So mussten die Angestellte über Jahre hinweg Geld dafür zahlen, dass sie einen Parkplatz auf dem Firmengelände haben konnten. Verrückt! Und gar nicht das, was man von einem US-Tech-Riesen (und das ist Amazon nun mal) erwartet. Wir kennen die Geschichten aus dem Silicon Valley, wo Firmen wie Google ganze Fitnessstudios, Gourmet-Küchen und natürlich den klischeehaften Tischkicker für die eigenen Mitarbeiter kostenlos zur Verfügung stellen.
Bei Amazon? Fehlanzeige. Entsprechend sind über die Jahre viele Entwickler zur netteren Konkurrenz abgewandert. Für Bezos sind diese Leute wohl einfach nur B-Mitarbeiter, auf die man verzichten kann. Scheint ja zu klappen…
Jeffism 5: Heute ist Tag 1 des Internets. Wir haben noch so viel zu lernen.
Die Bekanntheit der Amazon Letter to Shareholders beschränkt sich nicht nur auf die Finanzwelt. Seit 1997 bekundet Bezos jährlich die Errungenschaften und Zukunftziele des Konzerns. Klar sind darin viele Zahlen und Prozentwerte zu finden, die einen Nicht-Finanz-Menschen langweilen oder gar an Schulmathe zurückerinnern lassen.
Aber zwischen den Zeilen findet man auch hier wieder Bezos’ Weisheiten und Weltansichten. So schreibt Bezos gleich im ersten Brief an die Aktionäre:
Heute ist Tag 1 des Internets – Jeff Bezos 1997
Amazons Imperium (und die Entwicklung des Consumer Internets überhaupt) war 1997 erst am Anfang. Viele Dinge sollten in den nächsten Jahren in unser Leben erscheinen, zum Beispiel Soziale Netzwerke, Online-Shopping und Online-Banking.
Wenn wir an die frühen Tage des Internets zurückdenken, dann erkennen wir, dass wir einen weiten Weg zurückgelegt haben. Für Bezos ist das dennoch erst der Anfang.
This year marks the 20th anniversary of our first shareholder letter, and our core values and approach remain unchanged. We continue to aspire to be Earth’s most customer-centric company, and we recognize this to be no small or easy challenge. […]
As always, I attach a copy of our original 1997 letter. It remains Day 1. – Jeff Bezos 2017
Es ist immer noch Tag 1 des Internets, selbst im Jahre 2018. Den Original-Brief von 1997 wird jeder neuen Publikation beigelegt, um das zu verdeutlichen, was wir in Jeffism 1 gesehen haben: die Grundlagen sind unverändert.
Bezos ist wie besessen von der Idee des Tag Eins und möchte, dass jeder Mitarbeiter die dahinter stehende Philosophie verinnerlicht hat. Deshalb nannte er das Hauptquartier in Seattle auch gleich Day 1.
Außerdem zeigt das Festhalten am 1997er Motto auch eine gewisse Aufrichtigkeit des Unternehmers. Auch wenn Amazon schon wirklich viel geschafft es – man erkennt an, dass es noch einiges zu tun gibt. Extrem interpretiert könnte man sagen: Amazon hat im Vergleich zu dem, was es noch vor hat, nichts geschafft. Es ist schließlich Tag 1 und nicht Tag 35. Es ist nicht alles erfunden. Es sind nicht alle Kundenwünsche mit perfekten Produkte abgedeckt. Es geht weiter! Immer.
Der Blick nach vorne
Es bleibt spannend zu beobachten was Jeff Bezos, auch außerhalb von Amazon, so alles versucht auf die Beine zu stellen. Was ihm gelingt und was nicht (Jeffism 3), ob er es schafft, weiterhin Amazon als das kundenfreundlichste Unternehmen der Welt (Jeffism 1 und 2) zu führen oder ob ihm während seiner Mission wichtige Mitarbeiter flöten gehen, weil sie der Intensität der Firmenkultur (Jeffism 4) nicht standhalten können und wollen.
In der Biografie Der Allesverkäufer: Jeff Bezos und das Imperium von Amazon, das nun auch bald auf deutsch erscheint (6. Dezember 2018), bietet der Autor Brad Stone einen spannenden Einblick in das Leben und Denken des Amazon-Gründers, ohne dabei blind gegenüber den Schattenseiten zu sein. Es ist sehr sachlich, dennoch spannend, und eine klare Empfehlung an meine Leser. Wer Geld sparen möchte, der greift zur englischen Ausgabe The Everything Store , die es für etwa ein Drittel vom Preis der deutschen Ausgabe auf Amazon (wo sonst?) zu kaufen gibt.
Vieles wird sich ändern in unserer Welt, aber eines bleibt zumindest im Kopfe von Jeff Bezos: es wird immer Tag 1 sein (Jeffism 5).
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