
Jeder von uns ist mindestens schon einmal im Leben schon einer solchen Person begegnet. Besonders im beruflichen Alltag sind sie häufig anzutreffen, aber auch im Studium und in der Schule, wenn Gruppenarbeit auf dem Plan steht. Die Rede ist von solchen Personen, die nicht sonderlich viel können und auch nicht sehr engagiert sind, aber wie auf einer Welle locker mitschwimmen. Und wenn dann der Tag der Abgabe oder Präsentation folgt, dann stehen sie ganz vorne und ernten einen übermäßig großen Anteil des Applauses, für dessen Grundlage eigentlich die anderen mit ihrer harten Arbeit und Können verantwortlich sind.
Ist das nicht unfair? Ja, irgendwie schon. Aber leider auch Alltag, so Todd Allington. Er nennt solche Menschen Industrieschauspieler. In seinem Buch Fake It Till You Make It – Ein Handbuch für Industrieschauspieler beschreibt er diese Spezies und erklärt, wie man selbst zu einem professionellen Industrieschauspieler werden könne. Mit einfachen Tricks und Tipps, häufig mit Hang zum Manipulativen, soll es gelingen, der Nutznießer und nicht der Ausgenutzte zu sein.
Todd war so freundlich, mir das Buch zuzuschicken. Regelmäßige Leser dieses Blogs wissen allerdings, dass ich nicht käuflich bin und auch kritisch über Theorien und Bücher berichte. Eins möchte ich aber vorweg sagen, bevor ich einen Überblick über das Buch gebe und ausgewählte Theorien detailliert vorstelle: Das Buch ist wirklich super geschrieben und lässt sich sehr gut lesen! Es ist kein trockenes Werk, die Schwächen bzw. subjektiven Kritikpunkte sehe ich allerdings an anderen Stellen. Diese stelle ich am Ende des Artikels vor.
Viel Spaß beim Lesen der Rezension mit ausgewähltem Inhalt. Und ein großes Dankeschön an Todd Allington für das Zuschicken des Taschenbuches!
Jonas
Motivation: Warum man Industrieschauspieler werden sollte
In unserer westlichen Welt ist das Motto “Ohne Fleiß kein Preis” weit verbreitet. Dahinter versteckt sich die Annahme, dass man zur Erreichung eines Ziels in die Hände spucken und viel arbeiten muss. Ordentlich schuften, lange im Büro sein, möglichst viele Meetings besuchen, denn die sind ja wichtig, oder?
Als Fan von Optimierung reizt mich da Todds Motto: “Der Pragmatiker verhält sich wie Wasser und folgt stets dem Weg des geringsten Widerstands.” Das heißt, man sollte gut überlegen, ob das Ziel mit Einfallsreichtum und Kreativität nicht leichter und ressourcensparend zu erreichen ist als auf konventionellem Wege. Letztlich, so die Idee, bliebe dann mehr Zeit für die Dinge, für die wir wirklich brennen. Denn selten erfülle uns die Arbeit an sich mit Begeisterung.
Der Industrieschauspieler kennt diesen Ansatz. Er weiß, dass soziale Intelligenz, die Fähigkeit zur Selbstdarstellung und Charisma im Berufsleben wichtiger sind als das eigentliche Können der Person. Und wie ein Schauspieler in Hollywood kann er in verschiedene Rollen schlüpfen und sich überzeugend darstellen.
Die Analogie zur Filmbranche führt der Autor weiter. So bezeichnet Todd den Chef als Regisseur und die Kollegen als Publikum.
Die Räder der Konzernmühle drehen sich wie jeden Tag unermüdlich und unaufhaltsam, Sie blicken in dieselben leeren Gesichter, lachen über dieselben geschmacklosen Witze und spielen Ihre nun gut einstudierte Rolle als Industrieschauspieler für die vertraglich vereinbarte Gage. – Todd Allington
Klare Zielgruppe in den Worten des Autors: Das Handbuch richtet sich an all diejenigen, die als Beamte und Angestellte die meiste Zeit ihres Wachseins in Behörden und Konzernmühlen verbringen, bis sie erschöpft oder gar ausgebrannt in Rente gehen dürfen.
Wer fühlt sich angesprochen?
Wie man Industrieschauspieler wird
Die Hauptaussage des Buches ist schon auf den ersten Seiten klar: Nur wer sich selbst überzeugend darstellen kann und mit anderen umzugehen weiß, der bringt es weit im Leben. Das ist bekannt. Aber auch ganz ohne fachliches Können? Todd ist überzeugt: Der kürzere Weg, den soll man suchen, und sich nicht abrackern, wie es die armen und dämlichen Kollegen tun. Dafür hat er einen Drei-Schritte-Plan entwickelt.
Schritt 1: Die richtige Branche finden.
Vermeiden Sie alle Positionen, bei denen fachliche Leistungen abgerufen oder Umfang und Qualität Ihrer Arbeit direkt gemessen werden können. – Todd Allington
Als Arzt hat es der Industrieschauspieler schwer. Auch wenn ein guter Arzt über Softskills wie Zuhören und Beruhigen verfügt, so ist es doch das fachliche Können, das ihn auszeichnet. Wer eine Karriere als Industrieschauspieler anstrebt, der sollte sich besser nach einem Job als Consultant, im Marketing und Business Development oder in der Medienbranche und Startups umsehen, so der Autor.
Schritt 2: Beobachten und lernen
Es ist nicht viel anders als damals beim fröhlichen Burgenbauen im Sandkasten. […] Es gibt immer den Schüchternen, der alleine in der Ecke spielt, den Grobian, der die Sandburgen zertrampelt, und ein paar nette Kumpels, mit denen man ganz passabel die Zeit totschlagen kann. – Todd Allington
Da der berufliche Alltag von einem sozialen Miteinander geprägt ist, gelten hier dieselben Regeln wie in allen gesellschaftlichen Zusammenkünften: erkenne und verstehe die verschiedenen Charaktere.
Todd spricht von zwei Arten von Beobachtungen:
1) Beobachtung auf der fachlichen Ebene
- Eingespielte Arbeitsabläufe
- Ablagesysteme
- Hierarchien
- Aufgaben- und Verantwortungsverteilung
- Sonstige Formalitäten in der Firma
Diese soll man erkennen und auswendiglernen. Aber keinesfalls hinterfragen oder kritisieren, egal wie sinnlos die System erscheinen! Auch Formalitäten sollen als gottgegeben angenommen werden. Sie sorgen für Sicherheit und wer dagegen steht, werde schnell als Unruhestifter gebrandmarkt, was der persönlichen Agenda entgegen läuft.
Wer macht seine Arbeit besonders gut? Diese Person soll man sich merken, so der Autor. Denn sie wird immer dann als Retter eingespannt, wenn eine Aufgabe aufgrund der eigenen Inkompetenz nicht zu meistern ist. Dafür muss der Top-Problemlöser allerdings erst gefügig gemacht werden.
2) Beobachtung auf der sozialen Ebene
Ein zentraler Trick des Industrieschauspielers ist es, andere Leute für einen arbeiten zu lassen und für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Damit das gelingen kann, ist es wichtig, folgendes zu wissen:
- Geheime Bündnisse
- Beziehungsgeflechte
- Soziale Tretminen in der Firma
- Opinion-Leader
- Loser
Todd geht sogar soweit, dass er empfiehlt, die eigene Gesundheit diesem Zweck unterzuordnen. Da die Gespräche in der Raucherpause wichtig sind, sollte man schon auch überlegen, ob das bisschen Teer in der Lunge nicht dem Zusatznutzen unterzuordnen ist. Ebenfalls sind Kaffeeautomaten und Mittagspausen prädestiniert für beruflichen Smalltalk. Ein Industrieschauspieler muss das nutzen, wenn er voran kommen will!
Das große Ziel ist es, in den Inner Circle zu gelangen, d.h. von den Mächtigen in der Firma als Freund und wichtigen Angestellten gesehen zu werden. Damit das gelingt, muss man möglichst viel über die zentralen Personen wissen und ihnen schmeicheln, wo es nur geht. Am besten, so der Autor, kommt man an wichtige Informationen über den Chef, wenn man seine Sekretärin umwirbt. Natürlich darf so etwas nicht auffallen! Das ist die hohe Kunst, die es zu meistern gilt.
Schritt 3: Mitschwimmen
Jeder Teilnehmer im beruflichen Schauspiel verfolgt ausschließlich seine eigenen persönlichen Interessen. […] In einer Welt von Individuen hat Objektivität keinen Platz. […] Jammernde Kollegen sind schlechte Verlierer. – Todd Allington
Nun haben wir der Theorie nach ausreichend Informationen über die Gepflogenheiten in der Firma und über die Kollegen und wichtigen Vertreter sammeln können. Nun gilt es, diese zu nutzen. Das sind die zentralen Dinge, die ein Industrieschauspieler in dieser Phase zu beachten hat.
- Vermeiden von Reformbestreben und Änderungsvorschlägen
- Alles was wir tun, muss vom Chef wahrgenommen werden
- Den alten Abteilungshasen darf nichts weggenommen werden
- Aufgaben annehmen und dann später wieder loswerden; bei Erfolg den Ruhm einkassieren und bei Versagen dem Mitarbeiter die Schuld zuschieben
- Stets der Nette und Gesellige sein, für den alle schwärmen
- Nichts Privates ausplaudern und möglichst wenig Angriffsfläche bieten
- Nützliche Bündnisse zu Kollegen weiter ausbauen
Das sind die drei Schritte, die Todd in seinem Buch beschreibt. Und schon haben wir das Drehbuch eines Industrieschauspielers.
Na dann, Abfahrt!
Was es sonst noch zu beachten gibt
Das Buch Fake It Till You Make It ist ziemlich ausführlich geschrieben. Auch wenn es meiner Zusammenfassung nach den Anschein hat, Todd würde lediglich irgendwelche Phrasen in den Raum werfen – der Schein trügt! Detailliert beschreibt er, warum die genannten Punkte wichtig sind, welche Gefahren lauern und was es zu beachten gibt.
In folgenden Kapiteln erklärt er, wie man sich am besten für den Beruf kleidet: das Kostüm des Industrieschauspielers. Auch wenn andere Kapitel kontrovers sind, so handelt es sich bei diesen Tipps hauptsächlich um klassische Ratschläge der Karriereliteratur. Nichts Neues, aber nützlich.
Außerdem behandelt das Buch unter anderem:
- wie man gekonnt ein Netzwerk aufbaut und nutzt
- Meetings umgeht, ausnutzt oder sabotieren kann
- das beste aus einem Geschäftsessen und einer Firmenfeier macht
- Spesen- und Fahrkosten gewinnbringend abrechnet
Meine Kritik am Buch und an der Theorie
Ich widerspreche der Grundannahme des Buches nicht. Ja, es gibt sehr viele Menschen, die mit Charisma und Charm ihre fachlichen Schwächen zu überdecken wissen. Und ja, das kann man als unfair betrachten, man kann aber auch einfach diesen Fakt annehmen und schauen, wie man seine eigene Position verbessern kann.
Nur ist in meinen Augen die Authentizität entscheidend. Nicht jeder muss ein extravertierter Schein-Könner sein um zu beruflichem Erfolg zu gelangen. In Fake It Till You Make It ist kaum Platz für Individualität und Persönlichkeit: nicht widersprechen, überall Nice-Guy sein und dann in passenden Situationen zuschlagen. Egal was die Folgen für die anderen sind, Hauptsache ich stehe besser da als zuvor. Das ist durchaus ethisch fragwürdig.
Und manche Tipps, die Todd in seinem Buch vorstellt, könnten aus dem Handbuch eines Psychopathen sein. Ein Beispiel:
Egal wie unsympathisch und inkompetent Ihr Chef auf den ersten Blick sein mag […] alles dreht sich im Büroalltag um ihn. Keine Anstrengung sollte für Sie zu groß sein, um seine Sympathie zu gewinnen. […] Facetime mit Ihrem Chef ist Ihre Primetime. Wenn er nicht da ist, brauchen Sie auch nicht im Büro rumzusitzen.
Erforschen Sie persönliche Bedürfnisse der wichtigsten Kollegen und bedienen Sie diese. […] In Ihrer Laufbahn werden Sie auch engstirnige, verblendete Arbeits-Trolle treffen. Lassen Sie diese armen Menschen in ihrem Glauben. Das sind bedauernswerte Marionetten, die später an Ihren Fäden tanzen werden.
In solchen Abschnitten geht Todd meines Erachtens nach zu weit. Allerdings muss er das, um der Hauptprämisse des Buches folgen zu können. Er zieht die Grundannahmen durch das Buch hinweg durch, so wie es sich eben gehört. Wirklich vorwerfen kann man ihm inhaltlich nichts, allerdings widersprechen.
Trotzdem gibt es interessante Passagen, die einem wirklich die Augen öffnen können. Ich empfehle das Buch folglich nur bedingt, nämlich an Leute, die kritisches Lesen gewohnt sind. Diese können durchaus was lernen und sind im schlimmsten Fall “nur” von Todds anziehenden Schreibstil unterhalten.
Gedankennahrung-Fazit: Kann man als kritische Person sehr gut lesen, aber keine Pflichtlektüre.
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