
Cyril Northcote Parkinson war ein vielschichtiger Mann. Als Professor lehrte er viele Jahre lang an unterschiedlichen Universitäten und schrieb 60 Bücher über alles Mögliche, von Abenteuerromanen bis zu historische Abhandlungen. Sein Lieblingsthema war allerdings der Irrsinn der Bürokratie und die amüsanten Verhaltensweisen in den britischen Verwaltungen. Als er dann in den 50er-Jahren in Malaysia die Kolonialverwaltung bei ihrer Arbeit beobachtete, fiel ihm etwas Absurdes auf: Die Erledigung einer Sache dauert länger, wenn mehr Leute an ihr arbeiten als nötig.
Er stellte weitere Untersuchungen zu dem Thema an und veröffentlichte dessen Resultat im Jahre 1955 in der britischen Wochenzeitung The Economist in Form eines Essays, der später auch in seinem berühmten Buch erscheinen soll. Mit britischem Humor leitet er den Aufsatz ein:
Work expands so as to fill the time available for its completion. (Auf deutsch etwa: Arbeit dehnt sich in dem Maße aus, wie Zeit zu ihrer Erfüllung verfügbar ist.)
Aus dem Alltag kennen wir das. Egal wie viel Zeit uns für eine gewisse Aufgabe geben ist, wir machen sie immer erst kurz vor Schluss.
So kenne ich viele Kommilitonen, die erst in den letzten Tagen vor der Klausur anfangen zu lernen. Dafür aber Tag und Nacht. Wirklich zufrieden sind sie nicht mit dem Ergebnis. Sowas Großes wie die Klausurenphase braucht eben eine gewisse Planung.
Obwohl das Problem des Aufschiebens nicht nur unter Studenten weit verbreitet ist: Das war es nicht, was Parkinson mit seinem Gesetz verdeutlichen will. Oftmals liest man von Parkinsons Erkenntnissen an Stellen, die eigentlich gar nichts mit seinen Beobachtungen zu tun haben. Jüngst wieder im von mir so geliebten Wirtschaftsmagazin brand eins (Schwerpunkt: Faulheit).
Um Klarheit darüber zu verschaffen, was das Parkinsonsche Gesetz wirklich bedeutet, habe ich mir die Originallektüre angeschaut und diesen Beitrag hier verfasst. Viel Spaß beim Lesen. Und denke dran: Bei Parkinson darf man nicht alles so wissenschaftlich nehmen. Erstaunlich sind seine Beobachtungen trotzdem.
Die britische Marine: Mehr Admirale, weniger Schiffe
Allgemeine Annahme ist, dass die Anzahl der Angestellten irgendwie in Beziehung zum Umfang der Aufgaben stehen muss. Das heißt: Mehr Arbeit, mehr Angestellte. Klingt logisch, oder? Doch was ist mit der Umkehrung? Parkinson ist aufgefallen, dass auch gilt: Mehr Angestellte, mehr Arbeit.
Wie ein Ethnologe beobachtete Parkinson das Verhalten der britischen Beamten. Dabei bediente er sich größtenteils Statistiken. So fiel ihm zum Beispiel auf, dass die Anzahl der angestellten Admirale der britischen Marine stieg, obwohl die Arbeit über die Jahre hinweg abnahm. Es gab weniger Schiffe und weniger Matrosen, aber mehr Vorgesetzte.
Einen Überblick verschafft diese Tabelle, die ich aus Parkinsons Buch entnommen habe:
Mit den Möglichkeiten der Grundschulmathematik lässt sich eine sehr anschauliche Zahl bilden, den Admiral-pro-Schiff-Quotienten:
- 1914 waren 32 Admirale für ein Schiff verantwortlich
- 1928 waren es schon 178 Admirale je Schiff
Parkinsons Folgerung:
Die Anzahl an britischen Beamten in der Marine steht in keiner Verbindung zu der Größe der Aufgaben. Trotz sinkendem Aufwand wurden mehr Admirale eingestellt. Die Anzahl der Beamten hätte sich auch dann in derselben Größenordnung vervielfältigt, wenn es überhaupt keine Matrosen gegeben hätte.
Ursachen für das Parkinsonsche Gesetz
Natürlich belegt der Soziologe alles mit Zahlen. Sogar eine Formel für dieses Wachstum stellt er auf! Das möchte ich euch allerdings ersparen. Viel spannender sind die Ursachen für dieses absurde Wachstum der Belegschaft trotz sinkender Arbeit. Wie kann es sein, dass ein Betrieb oder eine Organisation seine Belegschaft so vergrößert, obwohl die eigentliche Arbeit abnimmt? Parkinson macht dafür zwei Faktoren verantwortlich.
Faktor 1: Die Organisationspyramide
Stellen wir uns einen überarbeiteten Beamten A vor. Irgendwie fühlt er sich der Fülle der Aufgaben nicht mehr gewachsen. Vielleicht wurde die Arbeit wirklich anstrengender, oder er wurde einfach nur älter und hat nun nicht mehr die Kraft, die er als junger Angestellter noch mit sich brachte. Ob er tatsächlich überarbeitet ist oder sich lediglich so fühlt, das spielt für Parkinson keine Rolle. Wichtig sei die Beobachtung, dass Beamter A nun drei Möglichkeiten hat:
- Er kündigt
- Er stellt eine gleichberechtigte Person B ein
- Er stellt zwei untergebene Assistenten C und D ein
Die ersten beiden Optionen sind nicht vernünftig. Kündigt der Beamte A, dann gibt er damit sein Recht auf die Pension auf, die am Ende seines Arbeitslebens auf ihn wartet. Auch die zweite Option ist zum Nachteil für A, denn sie fördert einen direkten Konkurrenzkampf um Beförderung zwischen ihm und den eingestellten Beamten B.
Schließlich ist die dritte Option die einzig vernünftige. Die Assistenten stehen nicht im direkten Konkurrenzkampf mit A, da sie ihm hierarchisch untergestellt sind. Gleichzeit ergibt sich der Vorteil, dass die beiden Assistenten sich wiederum in einem Konkurrenzkampf um eine Beförderung befinden. Sie leisten somit mehr, als eigentlich nötig wäre.
Und genau da liegt auch das Problem! Die Assistenten C und D sind in der Folge des ständigen Konkurrenzkampfes nun selbst überarbeitet. Der Beamte A gibt den beiden den Rat, nun ebenfalls Assistenten anzustellen. Schließlich hat sich diese Entscheidung für A als sehr vorteilhaft herausgestellt: C und D machen größtenteils seine Arbeit, doch der Lohn gebührt ihm.
Die beiden folgen den Ratschlag des Chefs. Assistent C stellt die Unterassistenten E und F ein. Assistent D wiederum heuert G und H an. Es ergibt sich folgende Organisationspyramide:
Die Folge ist nun, dass die Abteilung auf sieben Beamte angewachsen ist. Beamter A ist immer noch an der Spitze. Aber ist er entlasteter als vorher? Paradoxerweise nein, wie der zweite Faktor verdeutlicht.
Faktor 2:
Steigt die Größe der Belegschaft, dann steigt natürlich auch die Komplexität der Organisation. Ein Blick auf die Organisationspyramide zeigt: Es herrschen gegenseitige Abhängigkeiten. So ist zum Beispiel Unterassistent E dem Assistenten C untergeben, welcher wiederum die Vorgaben vom Beamten A zu beachten hat, dem er seinerseits unterstellt ist.
Jedem, der einmal in einem Großkonzern gearbeitet hat, kommt diese aufgeblasene Struktur bekannt vor. Klar, eine gewisse Hierarchie in der Unternehmensstruktur mag sinnvoll sein, damit nicht jeder Kleinmist an die Unternehmensspitze gelangt. Aber zumindest im Beispiel von Parkinson führt diese unnötig aufgeblasene Organisation zu einem steigenden Bürokratieaufwand.
Es geht nun nicht mehr ausschließlich darum, die eigentliche Arbeit zu verrichten. Durch die komplexere Organisationsstruktur steigt der Aufwand. Man versorgt sich nun gegenseitig mit zusätzlichen Aufgaben. Hier ein Beispiel im Original:
An incoming document may well come before each of them in turn. Official E decides that it falls within the province of F, who places a draft reply before C, who amends it drastically before consulting D, who asks G to deal with it. But G goes 5 on leave at this point, handing the file over to H, who drafts a minute that is signed by D und returned to C, who revises his draft accordingly and lays the new version before A.
Puh! Erst mal durchatmen. Das ist ein ganz schön weiter Weg, den so ein einfaches Dokument durch die ganze Organisation gehen muss, bis es schließlich von allen bearbeitet oder autorisiert wurde. Wir können festhalten: Mit steigender Anzahl an Angestellten steigt zugleich auch die Arbeit an.
Zusammenfassung:
Beim Parkinsonschen Gesetz geht es nicht darum, wie häufig angenommen, dass wir die Zeit füllen, die uns für eine gewisse Aufgabe zur Verfügung steht. Mit dieser Weisheit leitet Parkinson lediglich seinen Essay auf humorvolle Art ein.
Das Parkinsonschen Gesetz sagt vielmehr, dass der Aufwand in einer Organisation auch dann zunimmt, wenn die eigentliche Arbeit abnimmt. Verantwortlich dafür macht der Soziologe die Akkumulation von Angestellten, wie sie oben als Organisationspyramide vorgestellt und beschrieben wurde. Dadurch, dass der bürokratische Aufwand steigt, nimmt auch die Arbeit für alle Beteiligten zu. Wichtig ist zudem die folgende Bemerkung: Dieses System erhält sich selbst, denn die einzelnen Glieder versorgen sich gegenseitig mit zusätzlicher Arbeit. Effizient ist das auf keinen Fall!
Das berühmte Buch, von dem anfangs die Rede war, heißt übrigens Parkinson’s Law, and Other Studies in Administration (dt. Version auf Amazon). In diesem findet sich neben dem namensgebenden Kapitel zum Parkinsonschen Gesetz neun weitere Essays zu den absurden Verhaltensweisen in großen staatlichen Organisationen.
Diese Fakten beziehen sich nicht nur auf staatliche Konzerne, sondern auch auf private! Bei uns hat sich das Verkaufsvolumen verdoppelt UND es wurde eine immense Organisationshierarchie aufgestellt. Die Anzahl der Angestellten ist sogar zurückgegangen und die Geschäftsleitung versteht nicht, warum der Krankenstand so hoch ist, wie noch nie… Danke, dass wir uns die Überarbeitung nicht nur einbilden!!
Große Organisationen sind wegen so was eine komplett andere Welt als wir einzelnen Personen sie in unserem Alltag außerhalb solcher Strukturen erleben. Je größer, um so mehr geht es darum, sich selbst zu managen und verwalten.
Das ist genau das Gegenteil vom Alltag einer durchschnittlichen Person, die in erster Linie ihre Aufgaben am besten auf direktem Wege löst.
VG Carsten
Umfangreicher Artikel und wirklich gut auf den Punkt gebracht!
Hey,
sehr guter Artikel. Liest sich super!
Mir persönlich hat es wahnsinnig geholfen, meine Zeit pro Aufgabe ein bisschen zu begrenzen. So bin ich durch das gezielte Brechen dieses Gesetzes tatsächlich produktiver geworden.
Unter http://learning-man.de/parkinsonsche-gesetz/ habe ich auch über das Thema geschrieben. Schau einfach mal vorbei, wenn du Zeit hast 😉
Schöne Grüße
Michael