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Der September neigt sich dem Ende zu und damit schließt auch das Thema des Monats – das Lernen – ab. Ich habe ein bekanntes Konzept vorgestellt, das erklärt, wie Menschen üblicherweise lernen, nämlich durch verstärkendes Lernen. Wir haben auch gesehen, dass dies nach hinten losgehen kann, nämlich dann, wenn wir durch ständig wiederkehrende negative Eindrücke in einen Zustand der erlernten Hilflosigkeit gelangen: Endstation Depression. In seinem Gastbeitrag von letzter Woche hat Dennis von depressiv leben einen Drei-Schritte-Plan der Veränderung vorgestellt, mit dessen Hilfe er es geschafft hat, aus diesem Loch wieder herauszukommen. So hat er wieder gelernt, was es heißt, ein Leben zu leben.
Und heute schließt sich das Thema, vorerst. Ich möchte das Konzept des sozialen Lernens vorstellen und an die bisherigen Artikel angliedern. Dafür werde ich wieder eine interessante Tier-Studie vorstellen, bei der dieses Mal zum Glück keinen Wesen Schmerz zugefügt werden musste. Im Gegenteil! Sie durften spielen und innovativ (im Sinne von neue Verhaltensweisen ausprobierend) sein. Wer neigt eher zu Neugier – wilde Orangutans oder Zootiere?
Am Ende des kurzen Artikels habe ich noch eine Frage an den Leser gestellt. Mich würde wirklich interessieren, was deine Meinung dazu ist.
Viel Spaß beim Lesen!
Soziales Lernen
Unter sozialem Lernen versteht man einen Prozess, in dem menschliche und tierische Individuen nicht direkt durch eigene Handlungen und den Folgen (Erfahrungen) lernen, sondern indirekt durch Handlungen andere und durch Beobachtung der Konsequenzen. Das soziale Lernen steht somit dem Konzept des verstärkenden Lernens gewissermaßen entgegen. Formuliert hat diese bereits einige Jahrzehnte alte Theorie der Sozialpsychologe Albert Bandura.
Ein paar typische Beispiele für soziales Lernen: Imitation von Verhalten anderer, Einfluss der Eltern und Peers auf die eigenen Präferenzen, aber auch Lernen durch explizites Beibringen zählt zum sozialen Lernen. Zum Beispiel bekommen die Jungen in vielen Affenspezies den Umgang mit Werkzeugen zur Nahrungsgewinnung von ihren Müttern beigebracht.
Wie bereits angedeutet lässt sich soziales Lernen nicht bloß beim Menschen finden, sondern bei fast allen Säugetieren in irgendeiner Form. Dafür ist die besonderen Eigenschaften des Gehirns verantwortlich. Auch Vögel, Insekten und Fische können prinzipiell auf diese Weise lernen, aber die Forschung ist da noch nicht so weit wie bei den Säugetieren.
In mammals, the temporoparietal junction, the dorsomedial, and dorsolateral prefrontal cortex, as well as the anterior cingulate gyrus, appear to play critical roles in social learning. Birds, fish, and insects also learn from others, but the underlying neural mechanisms remain poorly understood. – Review Paper: Social learning in humans and other animals
Viele kulturelle Unterschiede und soziale Konventionen lassen sich womöglich mit Hilfe des sozialen Lernens erklären, zum Beispiel die Unterschiede in der Nahrungspräferenz von geographisch getrennten Schimpansenpopulationen.
Einfluss der Umwelt auf die Kreativität?
Die Vermutung liegt nahe, dass so etwas wie die Kreativität und der Wille, neue Dinge auszuprobieren, ebenfalls durch soziale Beziehungen beeinflusst werden können. Das Anthropologische Institut und Museum in Zürich hat in einer Studie das innovative Verhalten von wilden und in Zoos lebenden Orangutans beobachtet und verglichen.
Dafür wurden künstliche Gegenstände wie Plastikblumen und Puppen an den Ästen ihrer Wohnbäume befestigt. So wurde sichergestellt, dass sie diese auch auf jeden Fall sehen können. Diese Gegenstände hatten zudem eine für die Umgebung ungewöhnliche Farbe, zum Beispiel pink oder gelb. Übersehen konnte man sie also nicht. Gleiches wurde auch bei den Zootieren gemacht.
Zootiere vs. wilde Orangutans
Während der mehrmonatigen Beobachtungszeit interagierten die Tiere in freier Wildbahn nur zwei Mal mit den neuen Objekten, obwohl sie fast täglich an ihnen vorbei liefen. Beide Interaktionen wurden dabei von erwachsenen Tieren ausgeführt. Die Zootiere erkundigten hingegen schon nach wenigen Minuten die neuen Objekte. Wie lässt sich das erklären? Warum scheinen die Zootiere wesentlich neugieriger zu sein als ihre Verwandten aus dem Dschungel?
Natürlich spielen hier viele Faktoren eine Rolle, insbesondere aber das soziale Lernen, so die Forscher. In der Wildnis lernen junge Orangutans von ihren Müttern durch Beobachtung. Das anerzogene Verhalten ist dann die Norm, die soziale Konvention, von der nicht abgewichen wird. Innovatives Verhalten ist ihnen fremd. Und das ist vielleicht auch ganz gut so, können doch unbekannte Objekte prinzipiell eine neue Gefahr darstellen, zum Beispiel ein giftiges Tier oder eine Falle von Wilderern.
Im Zoo hingegen sind es die Affen gewohnt, dass sich ihre Umwelt regelmäßig ändert. Geht die Tür zum Gehege auf, dann denkt sich der Orangutan: “So, da kommt wieder dieser komisch aussehende Artgenosse und bringt was interessantes zum Spielen. Nie ist etwas Schlimmes passiert, also passiert auch jetzt nichts.”
Sowohl bei den Wildtieren als auch bei denen im Zoo bestimmen soziale Normen das erlaubte Ausmaß an Erkundung. Allerdings ist die Höhe abhängig von der Umwelt und der Situation, in der sich die Tiere befinden.
Fazit: Aufpassen, mit wem man sich umgibt?
Es ist anzunehmen, dass sich das soziale Lernen auch beim Menschen finden lässt. Diese Vermutung klingt sehr einleuchtend und deckt sich mit unserer Alltagserfahrung. Wir lernen also nicht bloß durch eigene Handlungen und den Folgen, sondern auch durch das Beobachten von Verhalten anderer. Aber noch mal zurück zum individuellen Lernen durch Erfahrung.
Erinnerst du dich noch an die Hunde-Studie, die ich in diesem Artikel über erlernte Hilflosigkeit vorgestellt habe? Interessant wäre es, dieses Experiment zu erweitern und zu wiederholen. Was würde passieren, wenn die Hunde die Möglichkeit hätten, das Verhalten der anderen zu beobachten? Womöglich würde ein Hund der Gruppe B so über soziales Lernen das Verhalten der Hunde aus A und C imitieren und ebenfalls den Schockwellen entfliehen. Die Forscher sprechen allerdings von einem depressionsähnlichem Zustand, weshalb offen bleibt, ob sie das wirklich tun würden oder ob sie gänzlich mental gelähmt blieben.
Um mich noch weiter mit meiner Spekulation aus dem Fenster zu lehnen: Folgt aus dem Umstand des sozialen Lernens, dass wir aufpassen sollten, mit wem wir uns abgeben? Wen wir in unsere näheren Bekanntenkreis lassen und wen wir als Freunde aussuchen?
Ich überlasse das Antworten auf diese Frage dir, dem Leser, verweise aber auf den Gastartikel von Jan (Habit Gym) über die berühmte 5-Personen-Regel.
Was meinst du dazu? Ich freue mich auf Antworten in Form von Kommentaren und bin auf die Diskussion gespannt!
Jonas
Quellen:
Review Paper: Social Learning in Humans and other Animals:
http://journal.frontiersin.org/article/10.3389/fnins.2014.00058/full
Psychology Today Artikel über Orangutans:
https://www.psychologytoday.com/blog/our-innovating-minds/201609/play-newness-and-you
Dazugehöriges Paper des Anthropologischen Instituts:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26119509
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