
Vorwort:
Aktuell lese ich wieder recht viele Papers und Bücher im Bereich Psychologie. Was mich schon immer an dieser Wissenschaft interessiert hat, ist die Möglichkeit, Einblicke in unser Selbst zu erhalten sowie besser verstehen zu können, warum wir uns in gewissen Situation so verhalten wie wir uns verhalten. Allem voran die Frage nach unserer Willenskraft und den möglichen Einflussfaktoren der Selbstkontrolle begegne ich mit besonderer Neugier.
In drei Teilen möchte ich mich daher dem Thema annehmen und über Selbstkontrolle schreiben: Was sind die Einflussfaktoren? Sind wir manipulierbar?
Willkommen zum zweiten Teil meiner Blogpost-Reihe über Willenskraft. Im ersten Teil ging es um den Einfluss von wahrgenommener soziale Akzeptanz auf unsere Selbstkontrolle.
Doch was verstehen wir unter Selbstkontrolle? Eine kleine Definition:
Self-control is the ability to control one’s emotions, behavior, and desires in the face of external demands in order to function in society. – wikipedia.org
Eine Person mit einer gut ausgebildeten Selbstkontrolle hat sich selbst im Griff. Sie weiß z.B., dass ein gewisses Verhalten gut ist und deswegen getan werden sollte bzw. falls schlecht, dann eben nicht. Ihr platzt nicht so leicht der Kragen bei einer Konfrontation. Weitere Beispielen fallen uns ohne Schwierigkeiten ein.
Versuchsaufbau
Eine weitere Studie von Baumeister, den wir aus dem ersten Teil bereits kennen, zeigt, wie leicht es ist, unsere Selbstkontrolle zu schwächen.
Die Versuchsteilnehmer einer angeblichen Untersuchung von individueller Geschmackswahrnehmung wurden einzeln in einen Versuchsraum geführt, in dem sich ein Ofen befand, der vor kurzem noch zum Backen von leckeren Kekse verwendet wurde. Baumeister liebt Kekse!
Die frisch gebackenen Kekse standen dampfend auf dem Tisch und der ganze Raum war erfüllt von ihrem verführerischen Geruch.
Wieder wurde die eigentliche Untersuchung als Geschmackstest getarnt und die Teilnehmer sollten nüchtern erscheinen. Man kann sich nur zu gut vorstellen, wie den Teilnehmern beim Betreten des Raumes das Wasser im Mund zusammengelaufen sein musste. Alternativ zu den Keksen stand auf dem Tisch eine Schale mit Radieschen. Vergleichsweise nicht so reizvoll.
Nur einem Drittel der Versuchskaninchen wurde es gestattet, die dampfenden Kekse zu essen, während ein weiteres Drittel lediglich die Radieschen verputzen durfte. Das übrige Drittel der Teilnehmer wurde erst gar nicht in den Raum geführt.
Nachdem der untersuchende Psychologe den Teilnehmern jeweils die Spielregeln erklärte, verlies er den Raum für ein paar Minuten. Diese Zeit wurde insbesondere von den Teilnehmern der Radieschen-Gruppe genutzt um das Aroma der verbotenen Frucht wenigstens zu erschnüffeln.
Das unlösbare Rätsel
Anschließend wurden die getesteten Personen in einen weiteren Raum geführt, wo sie ein Rätsel lösen sollten. Die gestellte Aufgabe war nicht bloß schwer, sie war unmöglich zu lösen, weshalb die Teilnehmer zwangsläufig irgendwann aufgeben mussten.
Interessanterweise stellten die Forscher aber einen großen Unterschied in der durchschnittlichen Versuchszeit, je nachdem, welcher Gruppe man angehörte.
Die Teilnehmer, die den Radieschen-Kekse-Raum übergingen, hielten im Durchschnitt etwa 20 Minuten durch. Knapp unter dieser Zeit lagen die Probanden der Keksfraktion mit durchschnittlich 19 Minuten. Doch wirklich bemerkenswert war folgende Beobachtung:
Die armen Teilnehmer der Radieschen-Gruppe, denen der Genuss der dampfenden Kekse verwehrt blieb, gaben schon nach durchschnittlich 8 Minuten auf.
Eine weitere Studie, die die Manipulation unserer Willenskraft unter Beweis stellt.
Resisting temptation seems to have produced a psychic cost – Baumeister
Im ersten Teil der Willenskraft-Reihe habe ich die Studie der Fake Party vorgestellt. Die Wahrnehmung von vermeintlicher Beliebtheit bzw. sozialer Ausgrenzung hatte eine Auswirkung auf die Selbstkontrolle der getesteten Personen.
Interpretation der Ergebnisse
Doch was mag der Grund für die Schwächung der Willenskraft in diesem Fall sein?
Vergleichen wir die Keksfraktion mit der Radieschenmannschaft, indem wir uns in ihre jeweilige Situation versetzen. Man stelle sich vor, man komme in einen Raum, der unglaublich gut nach Omas frisch gebackenen Keksen riecht. Sie stehen einfach auf dem Tisch und warten nur darauf, von uns verspeißt zu werden. Wir verspüren sofort beim Betreten des Raums die Lust, die Kekse aufzuessen, und gehören wir der Keksfraktion an, dann werden wir auch nicht daran gehindert. Wir können unserem Gelüste folgen.
Doch angenommen wir sind Teil der Radieschenmannschaft. Schlecht für uns, denn uns bleibt der Genuss verwehrt. Wir könnten sie uns natürlich einfach krallen während der Psychologe nicht im Raum ist. Das machen wir natürlich nicht, nein, wir reißen uns zusammen!
Wir machen, was man uns aufgetragen hat, und das ist anstrengend.
Die Qualität der mentalen Anstrengung ist der Unterschied zwischen den beiden Versuchsgruppen.
Es scheint also ganz so, dass der Versuch den Keksen zu widerstehen die Teilnehmer geistig erschöpft hätte und als sie anschließend mit dem Rätsel konfrontiert wurden, da hatten sie schlicht nicht mehr genügen mentale Kraft, um so lange durchzustehen, wie die Probanden der anderen Gruppe. Sie mussten der Versuchung schließlich nicht widerstehen. Sie durften naschen.
Theorie der Ego Depletion
Die Theorie, dass mentale Anstrengung unsere Willenskraft negativ beeinflussen kann, wird Selbsterschöpfung (Baumeister: Ego Depletion) genannt:
Ego depletion refers to the idea that self-control or willpower draw upon a limited pool of mental resources that can be used up. When the energy for mental activity is low, self-control is typically impaired, which would be considered a state of ego depletion. – wikipedia.org
Hat Baumeister mit seiner Vermutung recht, dann ist unsere Fähigkeit zur Selbstkontrolle beschränkt. Sie ist abhängig davon, in wieweit unsere mentale Energie zum jeweiligen Zeitpunkt aufgebraucht ist. Ist unser Geist erschöpft, weil wir z.B. wie im obigen Beispiel aktiv einer Versuchung widerstehen mussten, dann ist anschließend unsere Willenskraft geschwächt. Ebenso fällt es uns schwer aktive und bewusste Entscheidungen zu treffen.
“Die Liste der Situationen und Aufgaben, die bekanntermaßen die Selbstkontrolle erschöpfen, ist lang und vielfältig. Bei allen geht es um Konflikte und die Notwendigkeit, eine natürliche Neigung zu unterdrücken.” – Daniel Kahneman (Thinking, Fast and Slow)
Das war der zweite Teil der Reihe über Willenskraft und Einflussfaktoren. Verschiedene Studien der letzten Jahre bestärkten Baumeisters Theorie der Selbsterschöpfung. Dennoch gibt es auch Kritiker sowie Studien, die Ego Depletion in Frage stellen. Im dritten Teil der Reihe soll es um Kritik der Theorie gehen.
Quellen und Literatur:
Youarenotsosmart.com – Ego Depletion
Ego Depletion – Is the Active Self a Limited Resource?
Hallo Herr Schröder,
ich bin mal wieder auf der suche nach meinem Willen im Internet gesurft.
Dabei habe ich die “Theorie” von R.B. entdeckt und habe mich sehr schnell identifizieren können. Leider ist die Ego-Depletion eine sehr neue erscheinung über die es nicht allzuviel im Internet zu finden gibt. Der Rückzug in eine eigene Welt als folge der verbrauchten Willenskraft ist mir ein alltägliches Rätsel. Ich wünschte ich könnte mich für grundsätzlich nur im Zustand der Entscheidungsfähigkeit befinden (Wird hier gleichgesetzt mit einer aufgeladenen Willens-Ressource) allerdings sprigt ein Hebel (meist sobald ich zeit für mich habe) in meinem Kopf um und ich vertiefe mich in mein selbst. Es ist unheimlich schwierig in diesem zustand Telefonate oder sopntane Besuche “normal” zu empfangen. Vorallem wenn der wechsel in den Entscheidungsfähigen Zusand nicht funktioniert und man ein unglaublich unwohles Gefühl bei jeder Kommunikation verspührt.
Es wäre nett wenn Sie mir ein bisschen mehr über dieses Phänomen berichten könnten.
Mit freundlichen Grüssen
M.K.
Meine Frage
Hi,
ich hoffe ich verstehe, was du meinst und antworte auf deine Frage.
Man kann nicht wirklich sagen, dass wir uns in uns selbst zurückziehen, wenn die Willenskraft für den Moment aufgebraucht ist. Es fällt uns einfach nur schwer, gut überlegte Entscheidungen in diesem Zustand zu treffen. Sind wir mit einer Entscheidungsfrage konfrontiert, z.B. weil eben andere etwas von uns wollen, so entscheiden wir eher spontan und nach dem Bauchgefühl, was meistens weit von dem entfernt ist, was wir als rational bezeichnen würden.
Wenn ich dich richtig verstehe, dann fällt es dir schwer, in diesem erschöpften Zustand Telefonate zu führen. Du musst dich erst erholen und wirklich was Produktives kommt eh nicht bei raus.
Das klingt für mich nach einem klassischen Fall für Tagesplanung und Priorisierung deiner Aufgaben. Wenn du schon weißt, dass beispielsweise nach dem Mittagessen oder gegen Abend du dich in diesem Zustand befindest, dann kommuniziere das und plane deinen Tag entsprechend. Zum Beispiel, in dem du alle Telefonate auf vormittags verlegst.
Tagesplanung, Zeit- und Aufgabenmanagement ist ein riesen Thema. Wenn du ein paar persönliche Tipps magst, dann kannst du mir gerne eine Mail schreiben. Eventuell beantworte ich die Fragen dann auch in einem Beitrag. Du bist sicherlich nicht der einzige, der damit zu kämpfen hat. Planung ist mehr als die halbe Miete!
Übrigens: Das Experiment von Baumeister ist fast zwanzig Jahre alt. Im Internet und in Büchern findest du einiges Weiterführendes dazu. Falls du Hilfe beim Suchen brauchst, schreibe mich einfach noch mal an. Natürlich ist das meiste auf Englisch geschrieben, wie eben die wissenschaftliche Community untereinander kommuniziert.
Liebe Grüße
Jonas