
Regelmäßige Leser des Blogs werden mir zustimmen: der unbewusste Einfluss auf unser Verhalten und Entscheidungsfindung ist kaum zu überschätzen. Experimente haben bestätigt, dass wir mehr essen, wenn die Portion größer ist, auch wenn uns das Essen gar nicht schmeckt (Popcorn-Studie). Weitere Erkenntnisse der Forschung, plakativ ausgedrückt: Fettleibigkeit ist ansteckend und der Erfolg von US-Studenten ist abhängig davon, mit wem sie sich ein Zimmer teilen.
Nun habe ich im letzten Beitrag bereits eine Methode vorgestellt, wie sich dieses Phänomen des unbewussten Beeinflussens für gute Zwecke nutzen könnte. Die Rede ist von Thaler und Sunsteins Nudging (Nudging – Was ist das?).
Wie versprochen, folgen nun drei Real-Beispiele für die Anwendung dieser mittlerweile weit verbreiteten Methode der Einflussnahme. Die Beispiele stammen allesamt aus dem Buch Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstößt.
1. Nudging und Steuerehrlichkeit
In einem Experiment in Minnesota wurden Steuerzahler in vier Gruppen eingeteilt, die jeweils unterschiedliche Informationen zugesendet bekamen.
- Gruppe 1 bekam einen Brief, in dem aufgelistet wurde, für welche guten Zwecke die Steuergelder verwendet werden, zum Beispiel für die Erziehung der Kinder und zur Gewährleistung der Sicherheit durch Polizei und Feuerwehr.
- Der Brief, den Gruppe 2 bekam, kann eher mit einem Droh- statt Informationsbrief verglichen werden. Ihnen wurde gesagt, was die üblichen Strafen für Steuerhinterzieher sind.
- Vielleicht ist der Grund für Steuerhinterziehung aber gar nicht Gier, sondern Unwissen? Um das herauszufinden, bekam Gruppe 3 eine umfangreiche Hilfestellung für das Ausfüllen der Formulare.
- Steuerzahler der Gruppe 4 wurde lediglich gesagt, dass bereits 90 % der Bürger von Minnesota ordnungsgemäß und vollständig bezahlt habe.
Was meinst du, welche Vorgehensweise hat die Bereitschaft zu zahlen am meisten erhöht – die Androhung von Strafen? Die Nennung der Vorteile?
Könnte man annehmen, aber überraschenderweise hat sich die Zahlungsbereitschaft lediglich bei der Gruppe 4 erhöht. Ein einfacher Nudge, der Hinweis, dass die Mehrheit bereits bezahlt hat, reichte aus, um die Zahlungsmoral zu erhöhen. Die Studienleiter gehen davon aus, dass dieser Hinweis der weit verbreiteten Fehlannahme entgegenläuft, dass die meisten Leute eh nicht ordnungsgemäß Steuern zahlen würden. Zusätzlich ist es hilfreich, dass Menschen dazu neigen, sich am Verhalten anderer zu orientieren.
2. Leg dich nicht mit Texas an!
Der folgende Nudge wird seit über 28 Jahren erfolgreich gegen Vermüllung der Straßen und Landschaften in Texas angewendet.
Der US-Staat sah sich mit einem großen Verschmutzungsproblem konfrontiert. Kampagnen, die auf die Pflicht eines jeden Bürgers abzielten, schienen nicht zu funktionieren. Zu den üblichen Verschmutzern zählen meist junge Männer zwischen 18 und 24, die sich nicht sonderlich um die Vorgaben von Bürokraten kümmerten.
Eine neue Kampagne mit anderen Schwerpunkt musste her. Der griffige Slogan Don’t mess with Texas war geboren. Nationalhelden und Football-Profis der Dallas Cowboys promoteten die Kampagne. Damit traf man genau die Zielgruppe der meist jungen Erwachsenen. Natürlich half es auch, dass die Farben des Logos die der Texas-Flagge sind. Texaner sind ja bekanntlich stolz auf ihren Staat (Offizielle Website der Kampagne).
Zwischen 1986 und 1990 konnte so die Verschmutzung der Highways von Texas um 72 % gesenkt werden. Mittlerweile ist der Slogan zu einer Pop-Ikone geworden. Mit dem Logo bedruckte T-Shirts und Tassen sind beliebte Geschenke.
Man geht davon aus, dass geschätzt 95 % der Bürger von Texas den Slogan kennen. Ein weiteres Beispiel für die Einflussnahme auf das Verhalten von Menschen, ohne auf Strafen und Drohungen zurückgreifen zu müssen.s
3. Vorsicht, scharfe Kurve
Der Lake Shore Drive am östlichen Stadtrand von Chicago muss wunderschön sein. Schaut man nach rechts, sieht man den Michigansee glänzen. Von links begrüßt einen Chicagos beeindruckende Skyline. Blöd nur, dass die vielen S-Kurven einen vom Bestaunen ablenken.
Regelmäßig kamen Autofahrer von der Straße ab, weil sie die doch recht scharfen Kurven unterschätzen und mit überhöhter Geschwindigkeit in sie rein fuhren. Die großen Schilder mit “Höchstgeschwindigkeit 25 Meilen pro Stunde” interessierten die wenigsten. Was tun?
Die Verkehrsbehörde entschied sich gegen physische Maßnahmen wie Rüttelwellen. Stattdessen wurde in die psychologische Trick-Kiste gegriffen.
Man brachte Querlinien auf der Fahrbahn an. Der Abstand zwischen den Streifen ist zu Beginn noch regelmäßig. Doch nähert man sich der Kurve, dann folgen die Markierungen in kürzeren Abständen. Diese visuelle Information hat einen psychologischen Effekt auf die Person im Fahrzeug. Es entsteht nämlich der Eindruck einer zunehmenden Fahrtgeschwindigkeit. Der Fahrer bremst unbewusst ab. Unfälle werden vermieden, ganz ohne Radarkontrolle!
Mehr über Nudging:
Dieser Economist-Artikel stellt weitere Beispiele vor. Ansonsten hier meine Standard-Literaturempfehlung.
Schnelles Denken, langsames Denken von Daniel Kahneman. Standard-Werk über jegliche Art der kognitiven Verzerrungen und systematischen Denkfehlern. Pflichtlektüre!
Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstößt von Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein. Gerade die ersten Kapitel können als Kahneman-Light gesehen werden. Locker zu lesen, dennoch sehr informativ. Wer “Schnelles Denken, langsames Denken” gelesen hat, der erkennt viele Dinge wieder.
Freakonomics von Steven Levitt und Stephen Dubner. Ein Klassiker und der Beginn einer ganzen Buchreihe über ungewöhnliche wirtschaftliche Zusammenhänge und Statistiken. Unterhaltsam, aber auch lehrreich. Der Podcast (Freakonomics Radio) ist auch zu empfehlen.
Für die Akademiker unter meinen Lesern: Wissenschaftliches Paper über Choice Architecture von Richard H. Thaler, Sunstein und Balz.
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